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Rezension

APD, Juni 2007

Die Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testamentes sind Richtschnur und Norm für Kirche und Theologie. Dieser Berichtsband informiert über freikirchliche und römisch-katholische Perspektiven im Umgang mit der Bibel, dem Fundament des christlichen Glaubens, wie sie 2006 während eines Symposiums in Paderborn dargelegt wurden. Die Beitragssammlung enthält theologische, historische und exegetische Beiträge und stellt die Positionen von Freikirchen und römisch-katholischer Kirche in den Bereichen Bibelverständnis, Auslegungspraxis (Hermeneutik) und Schriftautorität vor.

Der katholische Theologe Peter Lüning weist in seinem Beitrag darauf hin, dass nach katholischem Verständnis die Bibel zwar im Zentrum des Glaubenslebens der Kirche stehe, es sei aber nicht die Schrift, sondern »die lebendige Stimme des Evangeliums«, die sich als normative Letztinstanz durchzusetzen vermag. Dies geschehe mittels des gläubig-vernünftigen Hörens, Lesens und Bedenkens der Heiligen Schrift und suche sich in Form von kirchlichen Bezeugungs- und Vermittlungsinstanzen verbindlich zum Ausdruck zu bringen. Dazu zählen, so Lüning, Liturgie, Bekenntnisse, Gewissen, sensus fidelium Theologie und kirchliches Lehramt (Bischöfe zusammen mit dem Papst bzw. Konzil). Aufgrund der Einsicht in die Selbstunterscheidung des lebendigen Wortes des dreieinen Gottes sei es der katholischen Theologie möglich, die Heilige Schrift und die apostolische »Heilige Tradition«, in deren Auslegungsdienst das kirchliche Lehramt stehe, als mediale Ausdrucksgestalten dieses Wortes in der Kirche zu verstehen.

Mit der Bedeutung der Bibel im deutschen Baptismus befassen sich die baptistischen Theologen André Heinze und Christiane Geisser. Heinze weist auf die grundsätzliche Überzeugung der Baptisten von der unbedingten Autorität der Schrift hin. Gleichzeitig kritisiert er aber, dass es der Baptismus in seinem Bemühen, zuerst und vor allem Kirche aus der Heiligen Schrift heraus zu sein, versäumt habe zu entdecken, dass die Gnade Gottes sich auch in anderen Gaben dem Einzelnen zuwende. Damit der Baptismus Bibelbewegung bleiben könne, werde er sich Momenten der Erfahrung zur Begegnung Gottes öffnen müssen, die sich am Massstab der Bibel orientieren und ergänzend zu ihr hinzutreten. Die Baptistin Geisser verweist auf das zunehmende »Analphabetentum« ihrer Kirche im Hinblick auf die Kenntnis biblischer Texte, ihrer Hintergründe und ihrer möglichen Relevanz für die konkrete Gestaltung von persönlichem Leben und Glauben. Die Theologin legt dabei den Finger auf eine brennende freikirchliche Wunde: »Wenn immer weniger Mitglieder in der Lage sind, aufgrund mangelnder persönlicher Bibelkenntnis an den Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen im Gemeindeleben fundiert und mündig teilzunehmen, wandert die Auslegungshoheit biblischer Texte aus der versammelten Gemeinde aus, liegt in der Hand weniger oder wird von Einzelpersonen mit entsprechender Dominanz wahrgenommen. «

Roland Gebauer erläutert das Schriftverständnis John Wesleys, welches als massgebende Quelle für das methodistische Schriftverständnis dient. Auch im gegenwärtigen Methodismus bleibe das reformatorische sola scriptura ein unaufgebbarer Grundsatz des methodistischen Schriftverständnisses. Der Methodismus halte an der Normativität der Schrift gegenüber der Tradition fest, messe jedoch heute der Tradition einen höheren Stellenwert bei als früher. Die Tradition gelte als »Quelle und ... Massstab für echtes christliches Zeugnis«, denn sie helfe, die Brücke vom Neuen Testament in die Gegenwart zu schlagen.

Die Theologin Ulrike Schuler befasst sich mit Quellen und Kriterien, mit deren Hilfe die Lehre der evangelisch-methodistischen Kirche dynamisch und interaktiv aus der Bibel heraus entwickelt wird bzw. die Lehre der Kirche im Lebensvollzug immer wieder auf ihren Wahrheitsgehalt hin als schriftgemässe (apostolisch-katholische) Lehre zu überprüfen sei. Bei den vier wesentlichen Quellen und Kriterien theologischer Reflexion handele es sich um Schrift, Tradition, Erfahrung und Vernunft. Der methodistische Theologe Albert Outler betitelte 1964 diese Reflexion paradigmatisch als »Wesleys Quadrilateral«. In mancherlei Hinsicht sei der Methodismus, wie etwa beim Modell des Quadrilaterals, ein Mittelweg zwischen Katholizismus und den vielfachen Seinsweisen protestantischer Kirchen und Gemeinschaften gegangen. In Anlehnung an dieses hermeneutische Reflexionsverfahren bezeichnete Outler Wesley gar als »evangelischen Katholiken. «

Der Theologe Burkhard Neumann stellt in seinem Beitrag die Rolle der Bibel in der amtlichen Dimension der nachkonziliaren Liturgie der römisch-katholischen Kirche dar und Michael Hardt beschreibt die Bedeutung der Heiligen Schrift im Leben katholischer Kirchengemeinden, etwa bei Andachten, Gottesdiensten und aussergottesdienstlichen Formen der Wortverkündigung.

Der adventistische Theologe Rolf J. Pöhler analysiert in seinem Beitrag die Bedeutung und Rolle der Bibel in Lehre und Leben der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Im ersten Teil wird der praktische Umgang mit der Bibel im gottesdienstlichen Leben beleuchtet. Im zweiten und dritten Teil wird auf die theologische und hermeneutische Funktion der Bibel bei der Bildung, Vermittlung und Weiterentwicklung des adventistischen Bekenntnisses eingegangen, unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehung zwischen Schrift, Theologie und Gemeindeleben. Der Theologe räumt dabei mit einem angeblichen Widerspruch am adventistischen »allein die Schrift« auf: Zwar seien die Adventisten eine reformatorische Endzeitbewegung, doch sei es bezeichnend, dass die adventistische Deutung apokalyptischer Visionen auf bestimmte Ereignisse der Kirchen- und Weltgeschichte sowie die noch erwarteten endzeitlichen Entwicklungen keinen direkten Niederschlag in den 28 Glaubensüberzeugungen gefunden hätten. Damit blieben sie Theologumena, nicht zur eigentlichen Glaubenslehre gehörende theologische Lehrsätze, die sich wie alle anderen Schlussfolgerungen am biblischen Text (sola scriptura) wie auch an der geschichtlichen Realität und heutigen Welterfahrung messen lassen müssen. Pöhler weist darauf hin, dass die eschatologische Bibelauslegung der Adventisten seit einiger Zeit in Bewegung geraten sei. Von den drei hermeneutischen Kriterien Schriftgemässheit, Bekenntnisgemässheit und Zeitgemässheit besitze im Adventismus das erste Priorität. Sola scriptura heisse prima scriptura. Die Heilige Schrift sei für die Adventisten die letztverbindliche Richtschnur (Kanon) und oberste (sichtbare und greifbare) Instanz des christlichen Glaubens – und damit zugleich das notwendige kritische Korrektiv der christlichen Kirche.

In zwei Kurzbeiträgen äussern sich Peter Vogt (Evangelische Brüder-Unität) und Richard Krüger (Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden) über »Aktuelles Reden Gottes«. Vogt stellt das Andachtsbüchlein »Herrnhuter Losungen« mit Losungen und Lehrtext, als Ausdruck einer Frömmigkeits- und Gemeindepraxis dar, die von der Überzeugung geprägt ist, dass Gott durch sein Wort in die menschlichen Lebenssituationen hinein spricht. Mit »Wort und Geist«, so Krüger, betonen die pentekostalen Kirchen die Bedeutung der Heiligen Schrift in vierfacher Dimension: 1. Von Gott durch den Geist gegeben; 2. Verkündigung in der Kraft des Heiligen Geistes; 3. Lehre in der Spannung zwischen Erfahrung und Schrift und 4. Leben aus der Schrift und im Geist. Nach Krüger sei das stärkste Wachstum der Gemeinde Jesu im Bereich des schlichtesten, wörtlichsten und persönlichen Verständnisses der Schrift und der entsprechenden Verkündigung zu beobachten.

Auf die Wiederentdeckung der Gemeinsamkeit in der Überzeugung von der Autorität der Bibel im ökumenischen Dialog geht Wolfgang Thönissen ein. Die gemeinsam vollzogene Anerkennung der Autorität der Heiligen Schrift als Wort Gottes habe den ökumenischen Dialog überhaupt erst möglich gemacht. Neben dem Streit zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam und der Bibelbewegung im 19. und 20. Jahrhundert beleuchtet Thönissen auch die Bedeutung des Theologen Karl Barth, der aus historischer Betrachtung heraus, mit seiner emphatischen Betonung der Theologie des Wortes (Zitat) »die katholische Theologie zur eigenen Rückgewinnung der Theologie des Wortes Gottes bewegt hat.« Ohne Verständigung über die Autorität der Heiligen Schrift seien innerhalb der ökumenischen Bewegung weiteren Schritte aufeinander zu nicht möglich.

Das Buch schliesst mit kurzen Texten von Walter Klaiber (Versuch einer Zusammenfassung), Andrea Lange (Andacht) und Michael Hardt (Kirche: Clubhaus oder Rettungsstation? Mk 1,14-20).

Christian B. Schäffler

Quelle

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Die Bibel im Leben der Kirche

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Die Bibel im Leben der Kirche

Freikirchliche und römisch-katholische Perspektiven
Klaiber, Walter/Thönissen, Wolfgang/Geisser, Christiane/Gebauer, Roland/Hardt, Michael/Heinze, André/Krüger, Richard/Lange, Andrea/Lüning, Peter/Neumann, Burkhard/Pöhler, Rolf J./Schuler, Ulrike/Vogt, Peter