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Rezension

Zeitschrift für katholische Theologie, Heft 03/2012

Neue technische Möglichkeiten führen häufig zu Verhaltensunsicherheiten, insbesondere dann, wenn es sich um Fragen zu Beginn und Ende des menschlichen Lebens handelt. Etwa im Fall der Präimplantationsdiagnostik, deren emotionale Debatte zeigt, dass sowohl in juristischer als auch in moralphilosophischer Hinsicht noch einiges zu leisten ist, bis sich einmal – möglicherweise – sinnvolle und tragfähige Regeln für ihren Gebrauch etabliert haben werden. Auf diesem langen Weg darf es als Verdienst der deutschen Gynäkologin und Ethikerin gelten, mit ihrer Monographie »Wunschkinder« die wissenschaftliche Diskussion ein gutes Stück vorangetrieben zu haben.
Die Präimplantationsdiagnostik, bei der Embryonen vor ihrer Einpflanzung in die Gebärmutter genetisch untersucht werden, ermöglicht Paaren ihren Kinderwunsch zu verwirklichen und zugleich bestimmte Erbkrankheiten oder Behinderungen auszuschließen. Neben dem offensichtlichen Nutzen besteht jedoch (u. a.) die Gefahr der Selektion bzw. des Rückgangs von Solidarität mit Menschen mit Behinderung. Der Grad zwischen dem Wunschkind und dem »Kind nach Wunsch« (7) ist also ein schmaler, die Ansichten von Eltern, Ärzten und Moralphilosophen durchaus kontrovers. Mit »Wunschkinder«, einer bearbeiteten Fassung ihrer mit dem Promotionspreis der Philipps-Universität Marburg ausgezeichneten Dissertation, bemüht sich Vfn. erfolgreich, Klarheit in die gegenwärtige Diskussion zu bringen. Sie wählt dazu zwei aktuelle philosophische Ansätze, die Prinzipienethik von Tom Beauchamp und James Childress sowie die feministische Ethik von Susan Sherwin.
Am Beginn des Werkes steht eine konzentrierte Auseinandersetzung mit den Thesen von Beauchamp, Childress und Sherwin, wobei eine abschließende tabellarische Aufstellung Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal klar zusammenfasst: Die Prinzipienethik von Beauchamp und Childress versucht – so wird deutlich – der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es in einem komplexen, von weltanschaulich pluralen Akteuren und oft auch empirischen Unsicherheiten geprägten Bereich wie der Medizinethik kaum möglich ist, mit Fundamentalprinzipien das Auslangen zu finden, noch die eine, einzig richtige Lösung zu finden. Vielmehr sollen die groben Umrisse der Moral rekonstruiert und ein Kernbestand an Prinzipien herausgearbeitet werden, welcher derart unkontrovers ist, dass er von allen Beteiligten gewissermaßen als overlapping consensus akzeptiert werden kann. Diese Prinzipien mittlerer Reichweite (nonmaleficence, autonomy, beneficence und justice), die weniger allgemein sind als Fundamentalprinzipien und allgemeiner als kasuistische Regeln, begründen zwar jeweils prima-facie-Pflichten, erfordern im Einzelfall jedoch ein Abwägen gegeneinander bzw. lassen ein solches zu. Damit erleichtern sie die Aufgabe, auf ethisch relevante Probleme eine well-reasoned response zu geben.
Susan Sherwin ihrerseits setzt sich mit ihrem feministischen Ansatz bewusst von den femininen Care-Konzepten in der Tradition von Carol Gilligan ab, da diese Frauen noch stärker in ihren klassischen Rollen festschreiben bzw. die Perspektive der Gerechtigkeit vernachlässigen würden. Anstelle von vier Prinzipien mittlerer Reichweite plädiert sie vor dem Hintergrund einer feministischen Gesellschaftsanalyse für das eine, grundlegende Prinzip der Befreiung von Unterdrückung. Relativiert wird dieses Prinzip jedoch zum einen durch weitere – wenngleich untergeordnete – Prinzipien wie Autonomie und Gerechtigkeit, zum anderen durch den Umstand, dass das Prinzip »Befreiung von Unterdrückung« erst innerhalb der jeweiligen Anwendungssituation sinnvoll gefasst werden kann.
Im zweiten Teil ihres Werkes referiert Vfn. zunächst die medizinisch-naturwissenschaftlichen bzw. rechtlichen Grundlagen der Präimplantationsdiagnostik (PGD), bezieht dabei Meinungsumfragen und Einzelfallstudien mit ein und kommt schließlich zu ihrem Hauptanliegen, der Frage, wie die Thesen von Beauchamp, Childress und Sherwin für die Präimplantationsdiagnostik fruchtbar gemacht werden können. Nach einer detaillierten Darstellung fasst sie die Ergebnisse ihrer Arbeit auf rund 20 Seiten ebenso klar wie anschaulich zusammen.
Gemäß der ethischen Theoriebildung von Beauchamp und Childress erfolgt die Präzisierung der Prinzipien in einem bestimmten Kontext. Gesetztenfalls also ein Paar mit erhöhtem Vererbungsrisiko äußert den Wunsch nach Durchführung der PGD, wären (mögliche) Selektion und Absterbenlassen von frühen Embryonen unter Berufung auf das Prinzip der Nichtschädigung prima facie abzulehnen. Mit Blick auf die Eltern und ihren großen Wunsch nach einem genetisch eigenen Kind mit minimiertem Erkrankungs-Risiko wäre die PGD (in Anwendung des Prinzips der Fürsorge) jedoch zu empfehlen. Im nun einsetzenden Prozess der Abwägung bleibt weiters zu diskutieren, welche Art von Handlungsorientierung von den Prinzipien Autonomie (Entscheidung der Eltern versus mögliche Präferenz des ungeborenen Kindes) und Gerechtigkeit (Verteilungsgerechtigkeit, Kosten) ausgehen könnte. Ohne die Komplexität dieses Vorgangs hier ausreichend darstellen zu können, sei angemerkt, dass Vfn. zu folgendem Schluss kommt: »Insgesamt ist im Sinne Beauchamps und Childress die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik zu befürworten. [...] Entsprechend ihrer Intention der Konsensbildung könnten Befürchtungen der Kritikerinnen und Kritiker bezüglich negativer gesellschaftlicher Auswirkungen der PGD durch eine Begrenzung der Indikationen und somit einem Schutz vor möglichen Ausweitungstendenzen entkräftet werden.« (183) Susan Sherwin dagegen verfolgt mit ihrer Theorie das Ziel, Strukturen von Dominanz und Unterdrückung abzubauen bzw. soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Da bei Anwendung der PGD der normierende Einfluss der Ärzteschaft auf das reproduktive Verhalten von Frauen erhöht und die Rollenerwartung an Frauen als Mütter verstärkt würde, stellt die Einführung der PGD zunächst eine Zunahme von Strukturen der Dominanz und Unterdrückung dar. Auch die Berücksichtigung der Interessen der unterrepräsentierten Gruppe der behinderten Menschen stellt ein negatives Argument dar, das jedoch durch den berechtigten Anspruch von Frauen zu einer aktiven Lebensplanung und Erfüllung ihres Kinderwunsches kontrastiert wird. Daher stellt Vfn. zusammenfassend fest: »Sie [i.e. Sherwin] befürwortet die Einführung der Präimplantationsdiagnostik, weil sie die ethische Urteilsfähigkeit und das ethische Verantwortungsbewusstsein von Frauen anerkennt, die sich nach sorgfältiger Aufklärung und unter Abwägung ihrer eigenen Erfahrung und Reproduktionsgeschichte, ihrer Lebensplanung, ihrer Gefühle gegenüber den Feten bzw. Embryonen, der Gestaltung ihrer Partnerschaft, ihren Verpflichtungen gegenüber bereits lebenden Kindern und ihren Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen für die Durchführung einer PGD entscheiden.« (186) Den bereits angesprochenen Problemen dagegen begegnet Sherwin mit Vorschlägen dazu, wie Strukturen von Dominanz und Unterdrückung auf gesellschaftlicher Ebene aufgebrochen werden können.
Vfn. liefert mit »Wunschkinder« ein wissenschaftlich fundiertes, spannendes Werk, das sich hinsichtlich der Tippfehler allerdings ein genaueres Lektorat verdient hätte.
Claudia Paganini

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Wunschkinder

Präimplantationsdiagnostik aus der Perspektive der Prinzipienethik und der feministischen Ethik
Reitz, Daniela

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