Rezension
Theologische Revue 4/2012
Es handelt sich hier um den fünften Band, in dem Gespräche des kath. Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn mit Vertreterinnen und Vertretern einiger Mitgliedskirchen der Vereinigung Ev. Freikirchen (VEF) dokumentiert sind. Er enthält die Vorträge des Symposiums vom 17. bis 19.2.2010.
Mit den Stichworten Apostolizität und Katholizität wird das Thema des vorausgehenden Symposiums aus dem Jahr 2008 fortgesetzt, das sich mit dem Thema Kirche und Gemeinde befasste. Damit begibt man sich mitten in die ökumenische Debatte zwischen kath. Kirche und den reformatorischen Kirchen, zu denen sich auch die Freikirchen zählen. Es dürfte v. a. auf freikirchlicher Seite auf den ersten Blick sehr überraschend sein, sich diesem Thema gemeinsam mit Katholiken zu nähern. Eine der Herausforderungen ist die Vielfalt der ev. Freikirchen, die durchaus große Unterschiede im Kirchen- und Amtsverständnis aufweisen. Hier gibt es auf der einen Seite eher kongregationalistisch verfasste Kirchen, wie z. B. die Mennoniten, und auf der anderen Seite solche, die weltweite verbindliche Strukturen ausgebildet haben, wie die Methodisten.
Die einzelnen Referate sind in der Reihenfolge wiedergegeben, in der sie gehalten wurden. Am Ende jedes Beitrages findet sich eine wenige Zeilen umfassende Zusammenfassung, die allerdings manchmal zu allgemein geraten ist und die entsprechenden Kernpunkte nicht immer zur Geltung bringt. Dies scheint mir v. a. bei den beiden Einleitungsreferaten zu den ntl. Grundlagen aus kath. und freikirchlicher Sicht spürbar.
Am Beginn stehen zwei Beiträge über ntl. Perspektiven aus kath. Sicht von Maria Neubrand, Neutestamentlerin aus Paderborn, und aus freikirchlicher Sicht von Walter Klaiber, Neutestamentler und methodistischer Bischof im Ruhestand. Neubrand hält dabei fest, dass das NT keinen einheitlichen Apostelbegriff kennt und auch im Blick auf das Verständnis von Katholizität ein vielschichtiges Bild liefert. Damit wird die Möglichkeit zu einer breiten Diskussion eröffnet. Sie arbeitet dennoch gemeinsame Komponenten heraus.
Klaiber macht deutlich, dass beide Begriffe v. a. in der Tradition der eher kongregationalistisch verfassten Freikirchen nicht zu den zentralen Themen der Ekklesiologie gehören. Gleichzeitig arbeitet er heraus, wie sich für freikirchliche Theologie Katholizität und Apostolizität aus der Lektüre des NT heraus darstellen und keineswegs übersehen werden.
Während alle anderen Beiträge beide Begriffe in den Blick nehmen, hat sich die kath. Seite entschieden, sie in je einem eigenen Referat (Neumann, Thönissen) zu beleuchten. Warum man dann die Beiträge nicht hintereinander bringt, wird nicht klar.
Burkhard Neumann, Direktor am Möhler-Institut, gibt dann einen Einblick in die dogmengeschichtlichen Aspekte der Katholizität aus kath. Sicht und geht dabei v. a. auf die Unterscheidung zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Katholizität ein.
Dem folgt ein Beitrag des baptistischen Kirchenhistorikers Martin Rothkegel, der den beiden Begriffen Katholizität und Apostolizität anhand eines Durchgangs durch die Geschichte des Baptismus nachgeht und dabei z.B. die Notwendigkeit der Überwindung eines zugespitzten Kongregationalismus als wichtige Aufgabe für die Zukunft beschreibt. Er spricht damit einen wichtigen Punkt an, der auch in anderen kongregationalistischen Freikirchen heute vermehrt gesehen wird.
Im Beitrag von Peter Vogt, dem Studienleiter der Ev. Brüdergemeine (Herrnhuter), kommt die Stimme einer Freikirche zu Wort, die schon in der Person des Gründers, Graf Zinzendorf, die Katholizität der Kirche von Anfang an in den Blick nimmt und sich die Überwindung der Kirchenspaltungen auf die Fahnen schreibt.
Wolfgang Thönissen, leitender Direktor des Möhler-Instituts und Prof. in Paderborn, widmet sich systematisch-theologischen Aspekten der Apostolizität aus kath. Sicht. Er geht dabei im Besonderen auf die Frage der apostolischen Sukzession ein und fasst am Schluss knapp die Fortschritte und die bleibenden Differenzen zu dieser Frage im ökumenischen Dialog zusammen.
Mit Andrea Lange (Mennonitische Gemeinden) und Markus Iff (Freie ev. Gemeinden) kommen zwei Vertreter von ausgeprägt kongregationalistischen Kirchen zu Wort. Lange referiert ausführlich die Ergebnisse des internationalen kath.-mennonitischen Dialogs sowie die mennonitischen Stellungnahmen zu den Lima-Dokumenten und zum neueren Faith and Order-Dokument »Wesen und Auftrag der Kirche«. Damit zeigt sie, wie auch eine kongregationalistisch verfasste Kirche Katholizität und Apostolizität lebt. Leider fehlt in diesem Beitrag eine Quellenangabe für ein zitiertes Dokument (151).
Iff bietet einen interessanten Einblick in die Anfänge und ersten Jahrzehnte seiner vergleichsweise jungen Freikirche. Die Freien ev. Gemeinden sind bislang in ökumenischen Dialogen wenig in Erscheinung getreten. Iff bemüht sich daher, einzelne Stimmen und Bekenntnistexte aus der frei-ev. Tradition mit ökumenischen Texten in Beziehung zu setzen. Er beurteilt die Spiritualisierung des Katholizitätsbegriffs in seiner Tradition kritisch und geht der Frage nach, wie die »verborgene Kirche«, bei der in dieser Tradition die Dimensionen Katholizität und Apostolizität angesiedelt werden, sichtbar gemacht werden kann.
Der ausführlichste Beitrag des Buches stammt von Johannes Oeldemann, ebenfalls Direktor am Möhler-Institut. Er begibt sich auf eine äußerst informative Spurensuche nach den beiden Themen in ökumenischen Dialogen mit freikirchlicher und kath. Beteiligung. Hier wird dann noch wenigstens ganz kurz eine freikirchliche Tradition zur Sprache gebracht, die bisher in allen fünf Gesprächen leider nur an einer Stelle zu Wort kam, nämlich die pfingstkirchliche Tradition. Wenngleich die Personaldecke bei den in Deutschland meist sehr kleinen Freikirchen dünn ist, sollte man bei künftigen Gesprächen versuchen, diese weltweit am stärksten im Wachsen begriffene Tradition stärker zu Wort kommen zu lassen.
Ein wenig problematisch ist in diesem Beitrag die Begrifflichkeit. Sobald man nämlich in die internationale Ökumene geht, wird es mit dem Begriff »Freikirche« schwieriger. V. a. im Blick auf die Methodisten ist festzustellen, dass sie z.B. in Nordamerika, wo sie relativ stark vertreten sind, eher zu den »mainline churches« zählen. Das tut dem Beitrag allerdings keinen Abbruch. Er bietet einen gut zusammengefassten Einblick in die Dialoge der kath. Kirche mit den Kirchen, die in Deutschland als Freikirchen gelten, und fügt noch eine Kirche hinzu, die in der deutschen Ökumene nicht vorkommt, die »Disciples of Christ«.
Das durch fünf Gespräche hindurch über mehr als zehn Jahre gewachsene Vertrauen zwischen den Gesprächspartnern mündet in diesem Band in ein Novum. Zum ersten Mal findet sich eine von den Hg.n gemeinsam verantwortete Zusammenfassung des Symposiums, die »wesentliche Grundfragen bzw. immer wiederkehrende Aspekte der Diskussion zusammenstellt und so auf vielleicht überraschende Gemeinsamkeiten hinweist« (215).
Dabei werden künftige Arbeitsfelder benannt. So wird z.B. gefragt, was es theologisch bedeuten könnte, dass »die unterschiedlichen Weisen, wie die römisch-katholische Kirche und die verschiedenen Freikirchen die Apostolizität verwirklichen, durchaus zu ›funktionieren‹ scheinen« (219).
Wie schon die vorausgehenden Bände, so leistet auch dieses Buch einen wichtigen Beitrag zur Veröffentlichung theologischer Gespräche zwischen diesen beiden kirchlichen Traditionen und ist ein Gewinn für die multilaterale ökumenische Diskussion in Deutschland Die Kompaktheit der Beiträge erlaubt es, sich relativ leicht einen Überblick zu verschaffen. Gerade das Feld der ev. Freikirchen, das auf Seiten der Großkirchen im Blick auf die ökumenisch-theologische Diskussion oft wenig wahrgenommen wird, erfährt hier eine sehr gute Darstellung. Gleichzeitig wird bewiesen, dass es sich lohnt, diesen Teil des Protestantismus als eigenständigen ökumenischen Gesprächspartner neben den ev. Landeskirchen wahrzunehmen. Es ist schade, dass nicht an herausgehobener Stelle des Buches, etwa ganz am Anfang oder am Ende, auf die anderen Titel verwiesen wird, die alle Gespräche seit 2001 dokumentieren.
Rainer W. Burkart