Rezension
Theologie für die Praxis 37 (2011) Heft 1/2
Wie kann man die synoptischen Heilungsgeschichten verstehen, und was bedeutet das gegebenenfalls für diakonisches Handeln? Diesen Fragen geht Frank Eibisch, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche und Leiter eines Diakoniewerks, am Beispiel der Heilungsgeschichten des Markusevangeliums nach. Mit seiner Studie, der überarbeiteten und erweiterten Fassung seiner Diplomarbeit im Zusammenhang eines Studiums im Fachbereich Diakoniewissenschaft an der Universität Heidelberg, betritt Eibisch ein relativ unerforschtes Gebiet. Und es gelingt ihm, einen Weg zu beschreiten, auf dem hermeneutische, exegetische und diakoniewissenschaftliche Fragestellungen in einen fruchtbaren Dialog miteinander gebracht werden können.
Konkret geht es Eibisch darum, »Heilungsgeschichten der Evangelien auf ihren Aussagegehalt für gegenwärtiges diakonisches Handeln zu befragen und dafür einen hermeneutischen Zugang zu beschreiben, der einerseits den biblischen Texten, zugleich aber den Erkenntnissen theologischer Forschung angemessen ist« (12). Dazu gibt er zunächst einen Überblick über ausgewählte hermeneutische Ansätze zum Verständnis neutestamentlicher Heilungsgeschichten (Bultmann, Theißen, Drewermann). Zu Recht kritisiert er an diesen Zugängen, dass ihr Bemühen um das Verstehen beim modernen Menschen ansetzt und somit zu einem Wahrnehmungsverlust im Blick auf die größere Wirklichkeit führt, die sich in den Heilungsgeschichten artikuliert. Eibisch stellt dem »als die vordringliche Aufgabe der Hermeneutik« entgegen, »ein schriftgemäßes Verstehen biblischer Texte zu ermöglichen und nicht, ihren befremdlichen Charakter durch Interpretation so lange zu beseitigen, bis wir uns endlich von den Texten verstanden fühlen« (25). Er sieht ein solches schriftgemäßes Verstehen gewährleistet durch die Interpretation der Heilungsgeschichten als »paradigmatische Erzählungen«. Dabei spielt im Anschluss an Hans Weders Hermeneutik die Wahrnehmung der Sprachlichkeit eine wichtige Rolle, denn Sprache weist »im Gehört-Werden auf eine Wahrheit hin, die über das Wirkliche hinausgeht, indem sie die Wirklichkeit deutet und damit mehr darstellt als ein bloßes Abbild des Wirklichen« (26f.). In Aufnahme und Weiterführung formgeschichtlicher Ansätze gelangt Eibisch schließlich zu einem Verständnis der Heilungsgeschichten, das einerseits deren Anspruch gerecht wird, »von tatsächlich Geschehenem zu berichten« (27), andererseits aber durch die Berücksichtigung ihrer kommunikativen Intention als Paradigmen (Dibelius) darüber hinausgeht: »Sie sind Sprachereignisse, die auf Geschehenes verweisen, in denen eine größere Wirklichkeit beispielhaft verdeutlicht« wird (35).
Auf dieser Basis werden ausgewählte Heilungsgeschichten des Markusevangeliums interpretiert (39–69). Dabei folgen auf exegetisch-theologische Beobachtungen jeweils Ausführungen über den paradigmatischen Charakter der Texte. Den sich so ergebenden äußerst vielfältigen Befund bündelt Eibisch sodann in »hermeneutische[n] Folgerungen« (70–103) – mit dem Ergebnis: Die markinischen Heilungsgeschichten wollen »im Glauben als paradigmatische Erzählungen für die in Jesu Christi vollmächtigem Handeln präsente Gegenwart des Reiches Gottes« begriffen werden. Damit aber geht es zugleich um »die Überwindung all dessen, was sich gegen das Leben richtet, wie es Gottes schöpferischem Willen zum Guten entspricht« (91). Dieses ›diakonische‹ Fazit wird in einem letzten Abschnitt sehr detailliert auf seine Bedeutung für die gegenwärtige diakonische Praxis hin befragt und auf methodistische Diakonie hin zugespitzt (104–133).
Alles in allem eine höchst interessante und anregende Arbeit – allerdings nicht immer leicht zu lesen, da es durch die äußerst zahlreichen Rück- und Querbezüge zwischen den einzelnen Themenbereichen zu einer gewissen Unübersichtlichkeit gekommen ist. Dieses Manko wird aber durch den Gewinn, den die Lektüre mit sich bringt, mehr als ausgeglichen.
Roland Gebauer