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Rezension

ChrisCare 1/2012

Interview mit dem Autor:

Häufig werde ich mit der Frage konfrontiert, was das Christliche eines Krankenhauses in diakonischer Trägerschaft heute denn überhaupt noch ausmache. Die Diakonissen sind weithin aus dem Klinikalltag verschwunden. Leistungserbringung und Entlohnung folgen den gesellschaftlichen Gegebenheiten. Neben engagierte christliche Mitarbeitende treten zunehmend solche, die dem Glauben wenig abgewinnen können und zu keiner Gemeinde oder Kirche gehören.
Die Frage nach der diakonischen Identität kirchlicher Gesundheitsarbeit, die sich daraus ableitet, finde ich höchst spannend. Denn sie erinnert uns an unseren Auftrag, an unsere Berufung und damit auch an den tiefen Sinn unserer Arbeit.
In dieser Diskussion haben die Heilungsgeschichten der Evangelien nach meiner Beobachtung bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Das finde ich bedauerlich, handelt es sich dabei doch um Texte, die sich ausdrücklich dem Thema »Krankheit – Gesundheit« widmen. Gewiss: Von moderner Medizin ist in ihnen nicht die Rede und kann es ja auch naturgemäß nicht sein.
Die Erzählungen tragen wunderhafte Züge, weshalb sie längere Zeit in der Theologie ein Schattendasein führten. Allenfalls kleine Gruppierungen in den und am Rande der Kirchen schienen sich noch für sie zu interessieren, hier nun allerdings wiederum nicht selten so, dass das Welt- und Menschenbild der Antike ungefragt in die Gegenwart übertragen wurde.
Dabei bin ich der Überzeugung, dass diese Erzählungen vom heilenden Handeln Jesu auch denjenigen eine Menge zu sagen haben, die den Einsichten der Moderne nicht mit grundsätzlicher Skepsis begegnen.
Nehmen wir einmal das Markusevangelium als die älteste Evangelienschrift, entstanden wohl um das Jahr 70 n. Chr. Was beabsichtigte Markus, als er sich anschickte, die Überlieferungen von Jesu Worten und Taten zu einer Evangelienschrift zusammenzustellen? Nach meiner Sicht waren das drei Dinge:
(1)    Er wollte die Erinnerung an das Leben Jesu bewahren.
(2)    Er wollte diese Erinnerung so erzählen, dass Jesus darin als der Christus, der Sohn Gottes zur Sprache kommt.
(3)    Er wollte, dass Menschen diese Botschaft wahrnehmen, also als entscheidende Wahrheit über die Welt und über sich selbst anerkennen und annehmen und somit zum Glauben an Jesus Christus finden und diesem Glauben entsprechend handeln.
In diese dreifache Absicht fügen sich auch die Heilungsgeschichten, die er uns in seinem Evangelium überliefert.
(1)    Sie erinnern daran, dass Jesus Menschen heilend und befreiend begegnete.
(2)    Sie verdeutlichen, dass Jesus in diesem heilenden und befreienden Handeln die Nähe des Reiches Gottes verkörpert.
(3)    Sie wollen helfen, Glauben zu wecken und zu einem entsprechenden Verhalten anzuregen.
Wie aber tun sie das? An der Geschichte von der Heilung eines gehörlosen und sprachbehinderten Menschen (Markus 7,31-37) soll dies beispielhaft verdeutlicht werden:
»31Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. 33Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. 36Und er gebot ihnen, sie sollten’ s niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend«
(1) Die Geschichte erinnert an das heilende und befreiende Handeln Jesu, indem sie es erzählend vergegenwärtigt. So holt sie es herein in die Gegenwart des Erzählers und des Hörers bzw. Lesers. Durch ihre Anschaulichkeit hilft sie uns, sich in dieses Geschehen hineinzubegeben. Spannend ist dabei, wie Markus dies tut. Angesiedelt ist das Ereignis im Gebiet der »Zehn Städte,« der Dekapolis. Diese galt den Juden zur Zeit Jesu als heidnisches Gebiet. Markus nun gestaltet deshalb diese Erzählung so, dass sie stark an vergleichbare Überlieferungen aus der griechisch-römischen Antike erinnert. Typisch für diese sind bei-spielsweise, dass der Heilende den Kranken abseits der Menge führt (Vers 33) oder dass er ein bestimmtes Wort verwendet, das den Anwesenden unverständlich ist (Vers 34: »Hefata!"«). Auch das Benutzen von Speichel für den Heilungsvorgang ist aus solchen Erzählungen bekannt. So berichtet z. B. der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebende Arzt Gelen davon, dass insbesondere in ländlichen Gebieten Exkremente und Speichel erfolgreich Verwendung fanden. Damit, dass Markus diese Begebenheit gerade so erzählt, verfolgt er eine bestimmte Absicht: Sein Evangelium richtet sich vorwiegend an Nichtjuden, denen solche Züge an Heilungsgeschichten durchaus vertraut gewesen sein dürften. So macht er schon an der Art des Erzählens deutlich, dass das Wirken Jesu eben nicht nur den jüdischen, sondern allen Menschen gilt und dass Jesu heilendes Handeln religiöse und kulturelle Schranken überwindet.
(2) Wie aber kommt darin die Nähe des Reiches Gottes zum Ausdruck? Wie wird Jesus darin als der Christus, der Sohn Gottes erkennbar?
Die Tatsache, dass Jesus sich hier in engster Verbindung mit Gott weiß, kommt zunächst darin zum Ausdruck, dass er seufzend, also erwartungsvoll zum Himmel aufblickt, was durchaus als Gebetsgeste zu verstehen ist. Das seinen nichtjüdischen Lesern unbekannte aramäische Wort »Hefata!« ist keine magische Formel, sondern Gebetsinhalt und wird deshalb von Markus sogleich übersetzt und verständlich gemacht: »Tu dich auf!« So wird deutlich, dass hier kein Zauberer am Werk ist, sondern Gott selbst in seiner heilenden, Leben schaffenden Kraft.
Die Begriffe, mit denen Markus die Krankheit des Taubstummen beschreibt, rufen dem damaligen bibelkundigen Leser allein durch die Wortwahl die griechische Übersetzung von Jesaja 35,4-6 ins Gedächtnis, wo es heißt: »Sagt den verzagten Herzen: ›Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!‹ ... Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken« Und eben dort wird auch deutlich, dass das Heilungsgeschehen von Gott selbst erwartet wird. So wird anschaulich: In dem, was Jesus hier tut, ist Gott selbst gegenwärtig. Jesus verkörpert Gottes Gegenwart. In seinem Handeln begegnet uns Gott selbst.
Erkennbar wird diese tiefste Wahrheit allerdings nur für den, der an Jesus als den Sohn Gottes, den Christus glaubt. Deshalb verbietet Jesus den Anwesenden — freilich ohne Erfolg —, von dem Erlebten zu erzählen. Denn er möchte nicht als Wundertäter oder Zauberer verehrt werden. Wer er wirklich ist, erschließt sich erst am Kreuz, unter dem ein römischer Offizier die ganze Wahrheit ausspricht: »Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen« (Markus 15,38).
Was aber geschieht, wo Gott selbst gegenwärtig ist? Es leuchtet etwas auf von der Vollendung seines Reiches. So erinnert die Reaktion der Menge an den Ursprung, die Schöpfung und die sich damit verbindenden Hoffnung darauf, dass das Ziel der Geschichte nicht Chaos und Vernichtung sein werden, sondern Lebendigkeit in Gottes allumfassender Gegenwart. Nicht umsonst erinnert der Jubelruf: »Er hat alles wohl gemacht« (Vers 37) an den ersten Schöpfungsbericht: »Und siehe: Alles war sehr gut« (Genesis 1,31).
(3) Kann eine solche Erzählung nun aber tatsächlich Glauben wecken und zu einem entsprechenden Verhalten anregen?
Die Geschichte allein gewiss nicht, denn Glaube entsteht dort, wo Menschen im gekreuzigten und auferstandenen Jesus den Christus, den Sohn Gottes erkennen und dies als entscheidende Wahrheit für ihr Leben annehmen. Dennoch macht eine solche Begebenheit anschaulich, was diese grundsätzliche Einsicht konkret bedeutet, also wie dieses Christus-Sein, dieses Sohn Gottes-Sein im Leben von Menschen Gestalt annimmt. Und sie macht deutlich, wie ein dementsprechendes Verhalten aussehen kann.
Was beispielsweise könnte dies für ärztliches und pflegerisches Handeln im Rahmen moderner Medizin bedeuten? Was bedeutet es für das heilende Handeln der Kirche insgesamt?
- Jesus überwindet religiöse und kulturelle Grenzen. Er stellt sich dabei auf die Gepflogenheiten und Gegebenheiten seiner Umwelt ein. Auch wenn Christen Medizin betreiben, werden sie sich dabei modernster Möglichkeiten dankbar bedienen, weil sie auch diese als Geschenk Gottes wahrnehmen und annehmen.
- Jesus nimmt den kranken Menschen beiseite. Er veranstaltet kein öffentliches Spektakel, um die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Menschen, die anderen heilend Gutes tun, stehen in besonderer Verantwortung, dabei nicht sich selbst in ein besseres Licht rücken zu wollen. Auch ihre Geschicklichkeit und ihre besonderen Begabungen sind nicht ihr eigener Verdienst, sondern Ausdruck der menschenfreundlichen, lebensfördernden Güte Gottes.
- Jesus handelt so, dass es den Beteiligten verständlich wird. Er gebraucht keine Geheimformeln, um sich als Magier darzustellen, sondern macht offenkundig, worum es ihm geht und woher er die Kraft dazu bezieht. Diese Klarheit und Verständlichkeit ist Menschen in heilenden Berufen nicht immer zu eigen. Der Gebrauch medizinischer Fachsprache beispielsweise kann auch der Verschleierung dienen oder einen Versuch darstellen, für die eigene Kenntnis ehrfurchtsvollen Respekt zu erheischen. In jeden Fall aber ist er rücksichtslos, wenn Patienten dadurch in Unkenntnis über das gesetzt werden, was mit ihnen geschieht. Verständlichkeit ist Ausdruck der Nächstenliebe.
- Jesus versteht sein Handeln im Horizont des angebrochenen und sich vollendenden Gottesreiches. Möglichkeiten zu heilendem Handeln sind immer begrenzt. Niemand muss deshalb Gott oder Halbgott spielen, auch nicht in weißer Dienstkleidung. Menschliche Allmachtsphantasien verstellen den Blick auf das Reich Gottes. Christen aber können durch ihre Worte darauf hinweisen, dass Gottes Gegenwart erkennbar wird und sein Reich anbricht, wenn Menschen Heilung und Genesung finden.
Das heilende Handeln der Kirche — auch in einem Krankenhaus in diakonischer Trägerschaft — wird sich also, wenn es dem heilenden Handeln Jesu folgen möchte, nicht durch besondere Methoden auszeichnen, nicht durch das Spektakuläre der Heilung, nicht durch eine besondere Rätselhaftigkeit und Unerklärlichkeit des Geschehens. Es wird niemals dazu dienen, Menschen in den Mittelpunkt zu stellen oder in Abhängigkeiten zu bringen. Es wird von den Möglichkeiten der modernen Medizin dankbar und verantwortungsvoll Gebrauch machen in einer Weise, dass damit der Lebendigkeit gedient ist. Es wird nicht alles tun wollen, was möglich ist, sondern darauf bedacht sein, dass alles, was geschieht, für die Menschen gut ist, die Genesung suchen. Und es wird Christinnen und Christen brauchen, die fröhlich und mutig davon Zeugnis geben, dass überall, wo Menschen Heilung und Befreiung erfahren, etwas von der heilenden, lebendig machenden Gegenwart des Reiches Gottes aufleuchtet, erkennbar wird, Wirklichkeit wird. Und die von der Hoffnung auf die Vollendung dieses Reiches sprechen und damit deutlich machen: Noch ist nicht alles gut; noch haben auch Klage und Trauer, Krankheit und Elend ihren Platz bei Gott, bis zu dem Tag, an dem er all dies in Heilung und Heil verwandeln und alles »sehr gut« sein wird.

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Dein Glaube hat dir geholfen

Heilungsgeschichten des Markusevangeliums als paradigmatische Erzählungen und ihre Bedeutung für diakonisches Handeln
Eibisch, Frank

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