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Rezension

literaturkritik.de 03.09.2020

Jedes Jahr erscheinen zahlreiche Studien mit literaturdidaktischer Schwerpunktsetzung bzw. einschlägigen Untersuchungsgegenständen. Auffallend ist, dass sich darunter immer weniger Arbeiten befinden, gerade im Falle von Dissertationen und sonstigen Qualifikationsschriften, die nicht auf empirischen Methoden – quantitativen wie qualitativen – basieren. Dies korrespondiert sicherlich mit der psychometrischen Wende, die spätestens nach der ersten PISA-Studie, der Einführung nationaler Bildungsstandards sowie forschungsmethodischer Paradigmenwechsel sukzessive im deutschdidaktischen Feld vollzogen wurde. Der Pluralität von Forschungsdesigns und der Heterogenität der Zielgruppe bzw. der potentiellen Leserschaft geschuldet ist jedoch, dass auch weiterhin theoretische Arbeiten und philologische Studien einen festen Platz unter den didaktischen Neuerscheinungen haben. Mehr als 1000 Seiten didaktische Forschungen in drei Bänden mit dem Publikationsdatum 2019 gewähren einen Einblick in eine spezifische Perspektive deutschdidaktischer Fragestellungen. Werteerziehung, die Rolle von Brechts Kinderlyrik sowie die Frage nach einer literaturdidaktischen Objektkonstitution des Gegenstandes Literatur stehen im Fokus von drei interessanten und sorgfältig erarbeiteten Studien, die im Folgenden mit Blick auf ihre Konzeption und ihren Beitrag für die Weiterentwicklung von Deutschunterricht betrachtet werden sollen.  
Florian Bär hat in seinem Buch mit dem kompakten Titel Werteerziehung im Deutschunterricht eine klassische Idee aufgegriffen: Der in München arbeitende Pädagoge und Regierungsschulrat untersucht in seiner Dissertation, wie Werteorientierung zum Unterrichtsprinzip des Literaturunterrichts werden kann. Dabei knüpft er keineswegs an Konzepte von Gesinnungs- und Besinnungserziehung an, sondern folgt konsequent einem Pragmatismus in der Tradition John Deweys und einem diskursethischen Ansatz nach Jürgen Habermas. Für eine kulturwissenschaftlich gedachte Deutschdidaktik begreift Bär »Werte als Ideen und Orientierungen, welche das Individuum aus sich heraus und durch Anregungen von außen in Prozessen der Selbstbildung und Selbsttranszendenz konstruiert«. Es geht ihm um eine detaillierte Analyse, worin das Potenzial narrativer Texte im Deutschunterricht bestehen kann, um über das reine Leseverstehen hinaus Wertefragen in Erzählungen als Potenzial für ethische Reflexion und Probehandeln von jungen Menschen zu nutzen. Zentral ist für Bär dabei die Wertreflexionskompetenz. Tragfähig für weitergehende Studien und Unterrichtskonzepte wirkt einerseits das konsequente Zusammendenken von ethischer Bildung und Literaturunterricht, was auf Theorien der Wertebildung im Subjekt, der Werteentstehung im Individuum und den Möglichkeiten der Integration psychologisch evaluierter Verfahren in den Deutschunterricht referiert.
Aber Bär nimmt andererseits in seiner Studie zugleich eine dezidiert praxisorientierte Perspektive ein, ihm geht es um aktive Werteerziehung, welche im Unterricht durch die Auseinandersetzung mit geeigneten Inhalten gelingen soll. So betont er an zentraler Stelle seiner Studie: »Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, auf welcher Erzählebene welche Wertfragen aufgeworfen werden (also inwiefern intentionale Wertaussagen auf Textseite getroffen werden), bevor im Anschluss daran eine moralische Wertung des Gelesenen, Gehörten oder Gesehenen erfolgen kann.« Das dazu entwickelte Textanalysemodell liefert wichtige Impulse für den Einsatz epischer Texte im Deutschunterricht. Insgesamt zeigt die Studie differenziert und materialreich die Potenziale von Erzählungen für die Wertebildung junger Menschen. Mit Blick auf Demokratiebildung und Nachhaltigkeitsdebatten ist der Band vielfältig anknüpfungsfähig.
Für alle drei Bände gilt abschließend, dass sie wissenschaftlich fundiert und mit hoher Fachexpertise verfasst worden sind. Sie ermöglichen vielfältige Einblicke in aktuelle Diskussionen um Deutschunterricht, literarisches Lernen und Querschnittsaufgaben von Unterricht. Ferner liefern sie vielfältige Anknüpfungspunkte, um zukünftig mit empirischen Studien relevante Teilaspekte zu erforschen.
Torsten Mergen (Auszug)

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Werteerziehung im Deutschunterricht

Didaktische Grundlagen und Konzeptionen
Bär, Florian

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