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Rezension

Unsere Kirche Nr. 34 (2016)

Gerade träumte man noch so schön vor sich hin – und dann plötzlich: die Orgel. Hochschreckend stellt man fest: Schon vorbei. Und mal wieder von der Predigt so gut wie nichts mitgekriegt.
Wer kennt sie nicht, diese Szene? Die erforderliche Aufmerksamkeit, um den Ausführungen der Pfarrerin oder des Pfarrers zu folgen, lässt oft zu wünschen übrig. Die Frage ist: Liegt das an der Predigt, den Predigenden oder an den Zuhörerinnen und Zuhörern?
Der Theologe und Predigerseminar-Ausbilder Christoph Barnbrock meint: Auch die Hörerinnen und Hörer selbst sind zu einem guten Teil am Hörgeschehen während der Predigt beteiligt. Das Buch, das er dazu geschrieben hat, heißt konsequenterweise »Hörbuch«, und es beschäftigt sich mit der Frage, wie der oder die Einzelne das Hören auf Gottes Wort in der Predigt für sich neu entdecken und fruchtbar machen kann, Wichtig ist dem Autor dabei: Es geht nicht um Leistung. Statt Techniken anzubieten, die die Aufmerksamkeit oder Merkfähigkeit verbessern, möchte Barnbrock den Zuhörenden die Predigt als Ort der Gottesbegegnung nahebringen. Denn Gott spricht zum Menschen – meist, wie in der Bibel beschrieben, durch andere Menschen, die er zu seinen Boten macht. »Solches Reden Gottes durch Menschen geschieht bis heute, wenn Predigende das Wort ergreifen«, schreibt Barnbrock.
Viele Aspekte spielen beim Zuhören eine Rolle. Barnbrock widmet ihnen gleich mehrere Kapitel in seinem Buch. Da sind etwa die vier »Ohren«, die der Psychologe Friedemann Schulz von Thun herausgearbeitet hat: Zuhörerinnen und Zuhörer hören aus einer Botschaft Sachinformationen, Beziehungsaussagen, Appelle oder die Selbstaussage des Sprechers heraus. Wie stark welcher Aspekt wahrgenommen wird, hängt unter anderem von den Vorerfahrungen des Hörenden und seiner Beziehung zum Sprechenden ab.
Nicht immer stimmt dieses Hören mit dem überein, was der Sprecher sagen wollte. Wer also wirklich verstehen möchte, was der Sprecher – in diesem Fall der Prediger – sagen will, sollte sich klarmachen, dass das Verstehen des Gehörten zu einem guten Teil bei ihm selbst liegt. »Eine wohlwollende, erwartungsvolle Hörhaltung gegenüber Predigenden und eine selbstkritische Haltung gegenüber dem eigenen Höreindruck ist also eine Grundbedingung für eine gutes, gelingendes (Predigt-)Hören«, so Barnbrock.
Auch die eigenen Erwartungen an das, was während einer Predigt geschieht, sind verschieden und haben Auswirkungen auf deren Aufnahme. So lassen sich die Predigt-Hörerinnen und Hörer grob in drei Typen einteilen: den assoziativen Typ, der an einzelnen Formulierungen hängenbleibt und an diesen weiterdenkt; den kritischen Typ, der alles Gehörte daraufhin untersucht, ob es seinen eigenen Erwartungen entspricht; und den kontemplativen Typ, der die Zeit der Predigt genießt und seinen inneren Frieden findet, ohne den Gedankengängen auf der Kanzel genau zu folgen. Eine andere Einteilung unterscheidet zwischen Predigthörern, die intellektuelle Herausforderungen suchen, solchen, die emotional angerührt werden möchten und solchen, für die die Beziehung zum Predigenden besonders wichtig ist.
Umfragen haben gezeigt, dass alle diese Haltungen bei Gottesdienstbesuchern vorkommen, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Lohnend sei es, meint Barnbrock, einer Predigt »mehrdimensional« zu folgen, also verschiedene Aspekte beim Hören zum Tragen kommen zu lassen. Ähnliches gilt für die verschiedenen, zum Teil auch widersprüchlichen Erwartungen, mit denen Menschen den Gottesdienst besuchen. Keine noch so gute Predigt wird alle diese Erwartungen erfüllen können – aber, so Barnbrock: Vielleicht ist die Predigt, die mir nicht gefällt, genau das Richtige für meine Nachbarin in der Kirchenbank.
Apropos gefallen: Predigten, die schwer zu hören sind, sind oft nicht die, die falsch verstanden werden. Im Gegenteil – was Widerwillen hervorruft, ist unter Umständen das, was den Zuhörer in seiner Selbstbezogenheit, seinem Kreisen um sich selbst stört. »Dass wir Leben gerade nicht dann finden, wenn wir das Leben selbst in die Hand nehmen, sondern dort, wo wir Gott finden und Gott uns findet, widerspricht gängigen Denkmustern unserer Zeit«, schreibt Barnbrock. »Probleme beim Predigthören und der Eindruck, eine Predigt habe mir nichts zu sagen, können also auch darin wurzeln, dass ich mich in meinen (und den in der Gesellschaft gängigen) Grundannahmen über das Leben nicht irritieren lassen möchte.«
Betrachtet man die vielen unterschiedlichen Voraussetzungen für eine gelungene Kommunikation zwischen Redenden und Hörenden, muss man sich eigentlich wundern, dass Gott dieses anfällige System gewählt hat, um Menschen zu erreichen. Es ist ein Wagnis und, wie Barnbrock schreibt, ein »Akt der Erniedrigung Gottes«: »Gott nimmt es auf sich, dass seine Worte überhört werden, dass Menschen sich verhören, dass sie nicht hinhören, dass sie hören und gleichzeitig nicht hören.« Andererseits kann das »hörende Hören« mit Leib und Seele zu einem Einfalltor des Heiligen Geistes werden – vielleicht gerade an den Stellen, die die Predigthörer »falsch«, also anders verstehen als der Prediger sie ursprünglich meinte.
Barnbrocks Buch richtet sich an »normale« Gottesdienstbesucher, ist in einem lebendigen, gut verständlichen Stil geschrieben und enthält eine Fülle von Vorschlägen für den Umgang mit Predigten. Am Ende jedes Kapitels stellt der Autor eine Reihe von Fragen, die dabei helfen sollen, das Gelesene in die Praxis umzusetzen gut geeignet sowohl für die eigene Vertiefung als auch für weiterführende Gespräche in der Gemeinde. So können Leserinnen und Leser selbst überlegen, welcher Hörtyp sie sind, welche Erwartungen sie an eine Predigt haben und in wieweit sie bereit sind, sich von Gottes Wort auch stören zu lassen. Wer sich weiter über ein Thema informieren möchte, bekommt außerdem eine Auswahl an Literaturtipps. Empfehlenswert für alle, die Predigten hören – und auch für die, die sie halten.
Anke von Legat

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Hörbuch

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Hörbuch

Eine Entdeckungsreise für Predigthörerinnen und Predigthörer
Barnbrock, Christoph/Voigt, Marie-Luise

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