Rezension
Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 04/2014
Zwölf Jahre nach Beginn intensiver theologischer Gespräche zwischen evangelischen Freikirchen und der römisch-katholischen Kirche in Deutschland liegt nun der sechste Band einer Reihe vor, die als Frucht der deutschen ACK-Kontakte und der Dialogerfahrungen auf Weltebene das gewachsene Verständnis zwischen sehr unterschiedlichen Konfessionsfamilien dokumentiert. Nach den Themen »Rechtfertigung«, »Glaube und Taufe«, »Die Bibel im Leben der Kirche«, »Kirche und Gemeinde« und »Ursprung und Sendung der Kirche« wurde 2012 darüber berichtet und diskutiert, »wie der Glaube in unseren verschiedenen Kirchen und Gemeinden gelebt wird« (7). Hier kann leider nur auf die Ergebnisse von zwei der zwölf Beiträge eingegangen werden.
Johannes Oeldemann (röm.-kath.) gibt einen Überblick über das geistliche Leben in seiner Kirche seit der Reformation (9–48). Durch das Konzil von Trient sollte einmal die Pfarrei als Ort der Frömmigkeitseinübung und -praxis in enger Bindung an die jeweilige Diözese aufgewertet werden. Und dies nach dem Leitbild »jedem Gläubigen seine Pfarrei«, wobei jede Pfarrei einen eigenen Pfarrer als prägende Person haben sollte, ausgebildet in diözesanen Priesterseminaren und regelmäßig visitiert. Dabei spielten die Weltpriester als Vorbilder des geistlichen Lebens wie die Erziehung der Gläubigen in neuen geistlichen Gemeinschaften und seit dem 19. Jh. die Volksmissionen eine wichtige Rolle, in Deutschland zudem die großen Laienverbände. Zweitens wurden der »Familie als Lernort persönlicher Spiritualität«, der eucharistischen Frömmigkeit, der Neuentdeckung der mittelalterlichen Mystik, der Marienverehrung, der Heiligen- und Reliquienverehrung und damit auch dem Wallfahrtswesen hohe Priorität eingeräumt. Die dabei konstatierten »Parallelen zur Entwicklung der reformatorischen Spiritualität« (48) werden abgesehen von einem neueren Interesse an einem »Leben im Kloster auf Zeit« nicht recht deutlich.
Markus Iff (Bund Freier evangelischer Gemeinden) versucht am Beispiel von Frömmigkeitsformen in seinem Bund und in der baptistischen Tradition die bis heute prägenden Wurzeln freikirchlicher Frömmigkeit nachzuzeichnen (49–82). Er erinnert an evangelikale Strömungen in Großbritannien, an evangelischen Mystizismus und den breit gefächerten deutschen Pietismus. Wichtig war stets das »Zusammenspiel von frommer Innerlichkeit und missionarischem Aktivismus« in ihrem Bezug »auf das gegenläufige Beieinander menschlichen Handelns und göttlichen Tuns« (73). Charakteristisch für diesen Frömmigkeitstyp sind deshalb auch »die Bibelorientierung, der Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung, die individualisierte Gebetspraxis sowie der ... Fokus auf den einzelnen Menschen ... « (80 f.).
Gut gelungen scheint mir die Zusammenfassung aller Beiträge (241–249) durch die beiden Herausgeber Neumann (röm.-kath.) und Stolze (evang.-meth.) unter den Stichworten Fremdheit, gegenseitige Bereicherung des geistlichen und liturgischen Lebens, Frömmigkeit und Tradition, Frömmigkeit und Kirche sowie Freiheit und Bindung. Denn damit sind die vielseitigen »Herausforderungen der Gegenwart« benannt, vor denen alle Kirchen und Gemeinden durch Traditionsabbrüche, Individualisierung, Sorgen bei der Mitarbeitergewinnung usw. voneinander lernen müssen und können — und hierfür bietet dieser Band eine gute theoretische Grundlage. Denn den versammelten Fachleuten ist klar geworden, dass hinter den aktuellen Konflikten des Verhältnisses von Glaube und Ethik ungelöste »Fragen nach der Interpretation der göttlichen Offenbarung und der Hermeneutik der Heiligen Schrift« stecken (248). Da diese immer mehr quer durch die Konfessionen kontrovers beantwortet werden, bietet dieser Sammelband eine Fülle von Anregungen zur Weiterarbeit.
Walter Fleischmann-Bisten