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Rezension

Göttinger Tageblatt, 14. Dezember 2013

Nachwestliches Christentum. Lamin Sanneh sieht eine »Kontinentalverschiebung des Glaubens« vom säkularen Europa nach Afrika
»Hoffe auf den Herrn und sei stark« – unter diesem Motto hat der African Choir Göttingen sein Weihnachtskonzert in der Nikolaikirche gegeben. Die Kirche ist voll, immer wieder brandet bei den schnelleren Liedern lautes rhythmisches Mitklatschen auf. Das Publikum ist ebenso international wie die Lieder, die auf Englisch, Französisch und in afrikanischen Sprachen gesungen werden. Einige Besucher tanzen mit, immer wieder gibt es Jubelschreie und zwischendrin gibt eine rasante Trommelshow: eine ungewöhnliche Veranstaltung in dem gotischen Gemäuer, in dem sonst akademische Universitätsgottesdienste gehalten werden.
Der in Gambia geborene Missionstheologe und Yale-Professor Lamin Sanneh würde in diesem Konzert wahrscheinlich einen Hinweis auf die Zukunft sehen. Denn für ihn hat das Christentum im säkularen Europa weitgehend abgewirtschaftet. Eine Erneuerung des Glaubens komme derzeit aus Afrika – so lautet die Hauptthese in seinem Buch »Kontinentalverschiebung des Glaubens«, das im Göttinger Verlag Edition Ruprecht erschienen ist.
Sanneh, der vom Islam zum Katholizismus konvertiert ist, kanzelt in deutlichen Worten das Christentum westlicher Prägung ab: Zurückgehende Mitgliederzahlen, schwindender Glaube, Säkularismus, allenfalls private Frömmigkeit und ein gezähmtes Evangelium – so lauten die Stichworte. Diesem nachchristlichen Westen, in religiöser Abenddämmerung begriffen, stellt er das nachwestliche Christentum gegenüber – in Asien und vor allem in Afrika. Dort platzten die Kirchen aus allen Nähten. Die Zahl der Christen in Afrika wachse rasant. Von 1900 bis 2000 sei sie von 8,7 Millionen auf 350 Millionen gewachsen, bis 2030 könnten es 600 Millionen sein.
Dieses Wachstum, das stärker ausfällt als das allgemeine Bevölkerungswachstum, führt Sanneh jedoch nicht auf die christliche Mission auf dem Kontinent zurück. »Alles Plage, wenig Gewinn«, lautet vielmehr sein Urteil. Das Wachstum sei vielmehr erst nach dem Ende des Kolonialismus erfolgt. Es gehe auf eine indigene Entdeckung des christlichen Glaubens zurück, ermöglicht durch Bibelübersetzungen in afrikanische Sprachen und die Beibehaltung der indigenen Namen für Gott. Der selbstzufriedenen, zentralistischen und kolonialistischen alten europäischen Christenheit stellt Sanneh ein spontan aufkommendes, dezentrales, vielfältiges, erneuerndes Weltchristentum gegenüber. Dieses nachwestliche Christentum, entstanden in nicht von der Aufklärung geprägten Gesellschaften, werde vom nachchristlichen Westen skeptisch beobachtet. Er fürchte kulturelle Spannungen, Fundamentalismus und den Verlust eigener liberaler Eigenschaften.
Doch Sanneh sieht im neuen Weltchristentum keine Anzeichen dafür, dass es sich in eine aggressive und geschlossene politische Ideologie verwandeln könnte. Die Furcht davor hänge womöglich auch mit der Erinnerung an die historischen Verfehlungen der westlichen Christenheit zusammen. »Das afrikanische Christentum ist nicht eine Religion der Kriege«, schreibt Sanneh. Es habe keine Inquisition und keine blutigen Kämpfe um Lehre und Kirchenverfassung gegeben. »Der christliche Glaube«, so Sanneh, »half den Afrikanern, erneuerte Afrikaner zu werden, nicht nachgemachte Europäer.« Das neue Weltchristentum könne dem Westen vielmehr einen Einblick in die Kultur verschaffen, »die die Gestalt der neutestamentlichen Kirche in ihren Anfängen bestimmt hat«. Zugleich weist Sanneh darauf hin, dass der christliche Glaube in mehr Sprachen »als in jeder anderen Religion der Welt« gefeiert werde. Sanneh hat sein Buch zum großen Teil in dialogischer Form geschrieben, bei der auf jeweils eine gestellte Frage eine Antwort folgt.

Jörn Barke

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Kontinentalverschiebung des Glaubens

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Kontinentalverschiebung des Glaubens

Die Entdeckung des Christentums in Afrika
Sanneh, Lamin

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