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Rezension

Jahrbuch für Freikirchenforschung (22) 2013

Die Beiträge der hier dokumentierten fünften Begegnung des Johann-Adam-Möhler-Instituts Paderborn mit Vertretern der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) schließen mit ihrer Bezugnahme auf ein Thema der Ekklesiologie an das vorangehende Treffen an. Im Mittelpunkt der Tagung standen mit der Apostolizität und Katholizität zwei Prädikate der Kirche, die für gewöhnlich Stolpersteine ökumenischer Dialoge zwischen Katholiken und v. a. erwecklichen protestantischen Kirchen darstellen, auch wenn diese Prädikate als solche von keiner Seite abgelehnt werden. Im respektiven Verständnis der Begriffe lassen sich historisch gewachsene und, wie die Beiträge zeigen, auch weiterhin bestehende Differenzen aufweisen, deren komplementärer Charakter weiter zu untersuchen bleibt.
Die neutestamentliche Grundlegung erfolgt durch zwei Beiträge. Die römisch-katholische Neutestamentlerin Maria Neubrand arbeitet unterschiedliche Konzepte des Apostolats im Neuen Testament heraus. Grundlegend für diese sind jeweils, Augenzeuge des irdischen Jesus, Zeuge seiner Auferstehung oder Bewahrer der den Aposteln anvertrauten Lehre zu sein. Die Katholizität der Kirche wird mit ihrem umfassenden und universalen Auftrag, die Menschen als Gottes Volk zu vereinen, und mit ihrer inneren Pluralität in Verbindung gebracht. Walter Klaiber liest das diesbezügliche Zeugnis des Neuen Testaments aus einer erklärtermaßen freikirchlichen Perspektive, wobei sich einige spezifische Akzentuierungen zeigen, im Ganzen aber eine breite Übereinstimmung mit der vorangehenden Koreferentin ergibt Klaiber arbeitet die universale Geltung des Missionsauftrags und den inklusiven Charakter der Gemeinde heraus, verweist dann aber besonders auf die christologische Begründung der Katholizitätsvorstellung im Neuen Testament. Die apostolische Sukzession wird hier nun pointiert als »Sukzession in der apostolischen Mission« interpretiert (51), was nach Klaiber beides einschließt: das Weitersagen der Botschaft von Kreuz und Auferstehung sowie das Leben dieser Botschaft im Tun und (der Bereitschaft zum) Leiden.
Die nachstehenden Beiträge präsentieren die Sichtweise der auf der Tagung vertretenen Denominationen, wobei die römisch-katholische Seite mit zwei Vorträgen verzeichnet ist: Burkhardt Neumann konzentriert sich in seinem dogmengeschichtlichen Durchgang auf die Katholizität der Kirche. Er zeigt dabei, dass in der Geschichte mal ein quantitatives (d. h. auf die zeitliche und räumliche Erstreckung bezogenes), mal ein qualitatives (d. h. den rechten, umfassenden Glaube in den Vordergrund stellendes) Verständnis überwogen, sich zugleich jedoch das Bemühen beobachten lässt, beide Aspekte miteinander zu verbinden. Das Zweite Vatikanische Konzil stärkte das lehrbezogene, qualitative Verständnis und machte es für die Ekklesiologie fruchtbar. Wolfgang Thönissen stellt dem systematisch-theologische Einsichten zur Apostolizität der Kirche zur Seite. Einen Fortschritt im ökumenischen Gespräch sieht er darin, dass nicht länger gefragt wird, »ob die apostolische Sukzession zur Apostolizität des Evangeliums gehört, sondern wie sie dazugehört« (131). Strittig bleibt jedoch, inwieweit die Anerkennung der Apostolizität des Evangeliums bzw. der Kirche »notwendig an das Kriterium einer spezifischen Gestalt der apostolischen Nach¬folge einzelner Ämter gebunden ist« (123). Thönissen zeigt sich zuversichtlich, dass ein differenzierter Konsens in dieser Frage erreichbar ist.
Eine baptistische Sichtweise wird von Martin Rothkegel vorgetragen. Sachkundig leuchtet er die historischen Bedingungen aus, unter den Baptisten dazu kamen, die Frage der Kirchlichkeit von sichtbaren überörtlichen Strukturen entweder offenzulassen oder negativ zu beantworten, womit eine praktische Vernachlässigung solcher Prädikate wie Katholizität und Apostolizität einherging. Im Anschluss an Überlegungen von Miroslav Volf plädiert Rothkegel dafür, beide Begriffe für die baptistische Ekklesiologie wiederzuentdecken.
Peter Vogt, der das Verständnis der Herrnhuter Brüdergemeine von Katholizität und Apostolizität erläutert, arbeitet zunächst heraus, dass »apostolisch« in den Anfängen der Brüdergemeine als »Rückkehr zur unverfälschten Reinheit der Urkirche« hieß (99), während Zinzendorf auf der Basis eines mehrstufigen Kirchenbegriffs unter anderem zu der Auffassung gelangte, dass keine sichtbare Kirche den Anspruch erheben dürfe, die Katholizität der Kirche »exklusiv zu verkörpern« (103). So kommt die Brüdergemeine als Kirche selbst zeichenhaft für die Ökumenizität der vielen Kirchen zu stehen.
Auf instruktive Weise erläutert Andrea Lange das Verständnis der beiden Kirchenattribute aus mennonitischer Sicht, wobei sie auch den römisch-katholisch/mennonitischen Dialog auf Weltebene in ihre Ausführungen einbezieht. Der eher formal-institutionellen Füllung des Kriteriums der Apostolizität in der römisch-katholischen Kirche stellt sie eine inhaltliche gegenüber: Apostolizität meint für Mennoniten die Treue zum gewaltlosen Friedenszeugnis des Neuen Testaments und die Bereitschaft zum Martyrium. Eine ökumenische Verständigung über diese Begriffe sei dennoch möglich, wo sie »als gemeinsamer Auftrag und Prüfstein« (152) und nicht zur apologetischen Abgrenzung verwendet werden.
Wie Markus Iff zeigt, traten die Begriffe Katholizität und Apostolizität beim Begründer der Freien evangelischen Gemeinden Hermann Heinrich Grafe, hinter seinem Anliegen, die Einheit des Leibes Christi darzustellen, zurück. Vor diesem Hintergrund entstand ein Verständnis von Gemeinde, bei dem die Katholizität nicht »in einheitlichen, äußeren Strukturen oder Institutionen« besteht (163), sondern in der pneumatischen Gegenwart des verborgenen Leibes Christi, dessen Darstellung die sichtbare Gemeinde ist. Aus diesem Zusammenhang folgt. dass die Katholizität der Gemeinden in ihre Offenheit für die je anderen Gemeinde ---. besteht Die Apostolizität der Kirche erkennen Freie evangelische in der »Kontinuität und wesenhaften[n] Identität der apostolischen Botschaft, des apostolischen Lebens und der apostolischen Sendung« (11).
In einer abschließenden Untersuchung bilateraler Erklärungen aus Dialogen zwischen der römisch-katholischen Kirche und Freikirchen muss Johannes Oeldemann konstatieren, dass Katholizität und Apostolizität der Kirche in diesen Gesprächen kaum eigenständig thematisiert wurden, eine Ausnahme stellt die römisch-katholisch/methodistische Erklärung »Die apostolische Tradition« dar. Dazu kommen Bezugnahmen in weiteren ämtertheologischen Dialogkontexten. Der bemerkenswerteste Befund von Oeldemanns Analyse liegt in der in den Gesprächen gewonnenen Einsicht, dass die Apostolizität der Kirche sich im Spannungsfeld von Tradition und Erneuerung bewegt, dass sie also nicht nur in die Vergangenheit weist, sondern zugleich auch Reformimpulse enthält, die auf das Selbstverständnis der Kirche und folglich auf ihre Beziehungen zueinander zurückwirken.
Der Band schließt thematisch mit einer gemeinsamen Tagungszusammenfassung der Herausgeber des Bandes. Festgehalten wird zum einen die Übereinstimmung hinsichtlich eines vorrangig qualitativen Verständnisses von Katholizität der Kirche, zum anderen die Möglichkeit einer komplementären Zuordnung der je unterschiedlichen Interpretationen ihrer Apostolizität – so verstanden, dass mit diesem Prädikat sowohl nach dem »Woher« als auch nach dem »Woraufhin« der Kirche gefragt ist.
Der vorliegende Band vereint durchweg die jeweilige Gemeinschaft re-präsentierende, fundiert darlegende und umsichtig argumentierende Beiträge. Dabei werde bestehende Differenzen nicht ausgeblendet, diese jedoch zum einen verständlicher durch das Ausleuchten historischer Hintergründe, und zum anderen ökumenisch relevant durch das Aufzeigen von Entwicklungslinien und Ambivalenzen auch innerhalb der jeweiligen Tradition. Es bleibt die Frage, was solche Begegnungen zu leisten vermögen. Die gegenseitige Kenntnisnahme und das wachsende Verständnis füreinander sind ohne Zweifel ein so hohes Gut, dass die hier investierte Mühe nicht vergeblich sein wird. Doch auch die Grenzen des Formats werden mit jedem Tagungsband der Reihe deutlicher: Die Begegnungen wirken eher wie ein punktuelles Aufleuchten durchaus profunder Einsichten, die jedoch schon auf der Ebene dieser jährlichen Begegnungen nicht miteinander verbunden werden – was nun gerade bei den thematisch verwandten Themen der vierten und fünften Begegnung nahe gelegen hätte. Hier bleibt doch auch angesichts der auf beiden Seiten (bei Freikirchlern mehr, bei Katholiken weniger) wechselnden Delegationsmitglieder vieles im Zufälligen. Das gilt insbesondere im Blick auf die von der VEF entsandten Referenten, die bislang auch aufs Ganze der Begegnungen gesehen nicht die Breite der in der VEF vertretenen Kirchen und Gemeindebünde abzubilden vermochten. Man wüsste gerne mehr über das Ziel, das Mandat und (so vorhanden) über den Fortschritt in der Annäherung der Gesprächspartner. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Anfrage ist dieser Tagungsband aufgrund seiner historisch und theologisch fundierten Beiträge eine willkommene Interpretationshilfe für Dialogerklärungen, die in der Regel die Frucht intensiver Gespräche sind, ohne selbst die häufig profunden Beiträge, die ihre Erarbeitung überhaupt erst ermöglichten, im Einzelnen zu dokumentieren.
Christoph Raedel

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Ursprung und Sendung der Kirche

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Ursprung und Sendung der Kirche

Apostolizität und Katholizität in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht
Neumann, Burkhard/Stolze, Jürgen/Hardt, Michael/Iff, Markus/Klaiber, Walter/Lange, Andrea/Neubrand, Maria/Rothkegel, Martin/Thönissen, Wolfgang/Unrath, Karl-Martin/Vogt, Peter