Rezension
EmK Geschichte 34 (2013) Heft 1
Zum 90. Geburtstag Philip Potters am 19. August 2011 ist dieser gediegene Band erschienen, der Aufsätze und Reden aus den Jahren 1948—1991 in deutscher Übersetzung vereint. Eine englische Ausgabe — verantwortet vom Ökumenischen Rat in Genf— ist angekündigt.
Philip Potter, dessen Lebensgeschichte eng mit Geschichte und Wirken der ökumenischen Bewegung verbunden ist, hat keine Bücher geschrieben. Mit seinen Freunden war er früh zu der Überzeugung gelangt, dass es »schon genug« Bücher gab. »Die Einheit, die Erneuerung, das Zeugnis und der Dienst der Kirche« ist sein Thema. »Reden — ja! Vorträge und kürzere Artikel schreiben — ja! Aber Bücher machen ... « (Aus dem Vorwort zu »Leben — in seiner ganzen Fülle«, Frankfurt/M. 1982). So sind bisher unter seinem Namen zwar eine Reihe von Berichtsbänden vor allem von Vollversammlungen des Ökumenischen Rates erschienen, die er herausgegeben hat, aber ein »Buch« (»Life in all ist fullness«, Genf 1991 = »Leben — in seiner ganzen Fülle«) ist von Mitarbeitern aus verschiedenen Texten Potters zusammengestellt worden. So kommt dem vorliegenden Band mit »Originaltexten« besondere Bedeutung zu, zeigt es doch die enge Verknüpfung der jeweiligen Situation mit Potters Biographie, seinem Bibelverständnis und seiner Theologie. Die »Aufsätze und Reden« sind unter vier Sachthemen geordnet:
Mission und gemeinsames Zeugnis
Prophetische Theologie
Herausforderung an die Kirchen
Die ökumenische Vision
Dazu kommen ein Porträt Potters von seinem Freund und langjährigen Mitarbeiter Paul Löffler und »Worte des Dankes an Philip Potter« von Freunden und Weggefährten. Die üblichen bibliographischen Verzeichnisse legen Zeugnis ab für die sorgfältige Redaktion, die das Buch zu einem Handbuch über die Ökumenische
Bewegung macht. Die Texte präsentieren sich in einer gut lesbaren und flüssigen Übersetzung, und sie sind mit Fußnoten hervorragend erschlossen.
In den einzelnen Kapiteln sind die Beiträge chronologisch geordnet und geben so einen Einblick in die Entwicklung von Potters Denken aber zugleich auch in die thematische Arbeit in den verschiedenen Zweigen der ökumenischen Bewegung. Leider enthält der Band keine der Bibelarbeiten Potters. Seine Auslegungen biblischer Texte im sorgfältigen Hören auf die Botschaft und ihrer Öffnung für die Situation der Gegenwart sind beispielhaft, und sie haben die Hörer besonders getroffen. Solches Hören auf die Bibel hat Philip Potters ganzes Denken und Handeln geprägt, und so kommt es auch in vielen der hier abgedruckten Beiträge zum Tragen, wenn er seine Gedanken von biblischen Texten herleitet und entwickelt. Die folgenden Bespiele und Zitate bieten einen kleinen Ausschnitt aus der Fülle und Weite der Themen und Gedanken: Biblische Bilder und Szenen schließen die Situation auf. So im Schlusswort zur V. Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1975, in dem er im Bild von Exodus und Wüstenerfahrung Israels aber auch der Verklärung Jesu die ökumenische Erfahrung reflektiert: »Wir sind fähig, zusammenzubleiben, zusammenzustehen und zusammen zu leiden, weil wir in der Wüste eine gemeinsame Hoffnung haben, und es ist eine Hoffnung, die sich im Handeln zeigt [...] wir nehmen in der Wüste gemeinsam in Angriff, was getan werden muss, um die Hindernisse auf unserem Weg zur Gottesstadt wegzuräumen. [...] Trotz aller Tiefpunkte, die wir erlebt haben, erinnert mich eine Vollversammlung wie diese an die Geschichte von der Verklärung. Wir erinnern uns, wie Jesus [...] auf dem Berge verklärt wurde [...] wie Jesus gleich nach seiner Verklärung mit den Jüngern auf den Marktplatz hinabging und der ganzen menschlichen Hilflosigkeit, Verstörung und Verwirrung, wie sie Gestalt annahm in einem epileptischen Knaben, gegenübertrat.« (S. 301f.)
Es ist der biblische Impuls, der ihn vorwärtsdrängt und nicht bei überkommenen Positionen oder rückwärtsgewandter Apologetik stehen lässt. Die Säkularisierung ist ihm ein »Resultat biblischer Lehre und biblischen Verständnisses [...] Die ganze biblische Tradition hat eine säkulare Ausrichtung, indem sie Menschen befähigt, durch den Glauben an den Gott der Zeit und der Geschichte [...] mündig zu werden.« (S. 57) Evangelisation geschieht in Erkenntnis dieses »Zeichens der Zeit". — Schöpferische Mitte seines Denkens und Schlüssel für die Erfahrung ist für Potter eine Theologie des Kreuzes. »Gemeinschaft ist nicht billig zu haben. Ich habe das gelernt als einer, der aus einem Volk kommt, welches die Sklaverei erfahren und politische und wirtschaftliche Unterdrückung kennengelernt hat. Der Preis der Gemeinschaft ist das Kreuz [...] Nur wenn das Kreuz zum Zentrum unseres Lebens wird, werden wir enger miteinander verbunden in Einheit und Zeugnis [...] Denn das Kreuz [...] bedeutet das Ärgernis der Partikularität des fleischgewordenen Herrn, der lebte, starb und auferweckt wurde in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort.« (S. 263f.) Aus persönlicher Betroffenheit erkennt er die besondere Bedeutung der »Dritten Welt« in ihrer Pionierrolle für die ökumenische Bewegung in der Erfahrung der Minderheitensituation (S. 253), in der Zusammengehörigkeit von Einheit und Zeugnis (S. 255), Theologie und interreligiösem Dialog (S. 256) und der Herausforderung zu einer Veränderung ungerechter sozialer Strukturen (S. 259).
Seine Herkunft, wie auch die lange Zeit seiner Erfahrung an den Brennpunkten der Entwicklung haben ihn außerordentlich sensibel gemacht und ihm ein Gespür für brennende Fragen vermittelt, lange bevor sie zu Gemeinplätzen wurden (z.B. der Nord-Süd-Konflikt oder die Rolle der Orthodoxie in der Ökumenischen Bewegung — S. 271f.)
In seiner Bestimmung des Verhältnisses der Einheit der Kirchen zur »Oikoumene«, der ganzen bewohnten Welt, wendet er sich gegen das »Bestreben, um jeden Preis Konsens und Gemeinsamkeit in Erklärungen und Zielsetzungen finden zu müssen.« Es braucht »Kommunikation durch Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft [...] Interdependenz und Interaktion der einzelnen Glieder dieses Leibes [ein Bezug auf 1. Kor. 12], die in Leid und Freude für einander verantwortlich und zur Rechenschaft verpflichtet sind. Der Dienst, den die Kirchen und die ökumenische Bewegung einer entzweiten Welt leisten können, wäre dann am überzeugendsten, wenn es ihnen gelänge, inmitten des Konfliktes und der Vielfalt von Völkern und Gesellschaften, in denen die Kirchen leben, eine glaubwürdige, lebendige Gemeinschaft zu verwirklichen.« (S. 276f)
Der methodistische Leser wird Paul Löffler gern zustimmen, der in seinem Porträt auf Philip Potters Prägung durch seine Herkunft aus dem Methodismus hinweist. »Typisch« methodistische Motive und Handlungsweisen sind immer wieder anzutreffen. So, wenn er das Schlusswort in Nairobi mit dem Wesley-Lied beginnt, das am Anfang jeder Konferenz im weltweiten Methodismus steht (in Deutschland seit einigen Jahren leider nicht mehr!): »And are we yet alive ...« (S. 297). Und er schließt mit Strophen aus Liedern von Charles Wesley. Er bekennt sich zu seinem Methodismus, aber er sieht die methodistischen — wie alle — Kirchen durchaus kritisch in ihrer Unbeweglichkeit, eines »statischen und an der Vergangenheit orientierten Kirchenbegriff(s)« (z. B.: S. 255 zu den anglikanisch-methodistischen Gesprächen in England), ohne zu fragen, »welche Gestalt die Kirche Gottes haben muss, wenn sie ihren Auftrag in einer weitgehend säkularen und heidnischen Gesellschaft erfüllen soll. « (ebd.).
Rüdiger Minor