Rezension
Theologische Revue 06/2012
40 Jahre katholisch-methodistischer Dialog auf Weltebene und der Beitritt des Weltrates Methodistischer Kirchen zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) im Jahr 2006 bieten den Anlass für diesen Band, Rückschau zu halten und nach Gegenständen, Begrenzungen und Perspektiven des ökumenischen Gesprächs zu fragen.
Die ersten drei der insgesamt sechs Aufsätze beschäftigen sich mit dem Dialoggeschehen zwischen dem Weltrat Methodistischer Kirchen und der Röm.-Kath. Kirche, das von 1971 bis 2006 in acht Berichten seinen Niederschlag gefunden hat. Der methodistische Theologe Christoph Raedel zeichnet in seinem Beitrag Geschichte und Struktur des bilateralen Dialogs nach und nimmt differenziert Entwicklungen zu einer zunehmenden systematischen Stringenz und theologischen Tiefenschärfe der Texte wahr. Unter der Zielvorstellung der »Koinonia« ist es v. a. eine deutlich trinitarisch akzentuierte Entfaltung des Verständnisses von Kirche und Gemeinschaft, die sich durch die Verschränkung von horizontaler und vertikaler Perspektive als hilfreich und tragfähig erwiesen habe. Innerhalb seiner Schwerpunktsetzung beim Kirchen-und Amtsverständnis nimmt R. im Hinblick auf die Zuordnung von Laien und Ordinierten zwei Tendenzen wahr: zum einen eine die gemeinsame Sendung betonende starke Gewichtung pneumatologischer Aussagen, zum anderen eine schärfere Profilierung des ordinierten Amtes selbst, in dessen Verständnis weitreichende Übereinstimmungen erzielt werden konnten. Insgesamt beobachtet R. im Hinblick auf die Entfaltung der Ekklesiologie in den Dialogdokumenten die Tendenz, sich stärker an der Agenda des ekklesiologisch deutlicher profilierten Partners zu orientieren, was sich auf methodistischer Seite auch in einer immer größeren Offenheit für die Verwendung sakramentaler Sprache bzgl. der Themen Amt und Kirche äußert. Semantische und sachliche Übereinstimmungen müssen insofern behutsam analysiert werden.
Aus röm.-kath. Perspektive setzt sich Johannes Oeldemann mit dem Dialoggeschehen auseinander und verfolgt die im vorhergehenden Beitrag noch nicht weiter vertieften Themenkomplexe der Quellen des Glaubens und des Verständnisses der Sakramente. Die Betonung des Ineinanders von Schrift und Tradition wird — ohne dass explizit auf das methodistische Quadrilateral verwiesen würde — als Konvergenzpunkt fixiert und als Besonderheit des Dialogs die enge Anbindung der Glaubenslehre an die liturgische Tradition der Kirche hervorgehoben. Früher als im lutherisch-katholischen Dialog kam das Thema der Eucharistie zur Sprache und führte zu bemerkenswerten Übereinstimmungen, was Ausgangspunkt für eine deutliche Annäherung im Verständnis der Sakramente und eine beachtliche Konvergenz — in Anlehnung an den methodistischen Topos der »Gnadenmittel« — im Verständnis der sakramentalen Grundstruktur der Kirche war. Insgesamt nimmt O. in den Dialogen eine »Spiralbewegung« wahr, die vom Einsetzen bei theologischen Einzelfragen zu tieferen Schichten und einer gemeinsamen Mitte vordringt und darüber zur Formulierung von zum Teil unvermuteten Übereinstimmungen gelangt. Als Besonderheit des Dialogs verweist O. auf das Bemühen, Anregungen für praktische Konsequenzen in die Texte einzubringen. Für die neueste Zeit zeigt sich dabei die Enzyklika Ut Unum Sint als impulsgebend, die mit dem Leitbegriff des »Austauschs von Gaben« nicht nur im letzten Dialogpapier, sondern auch in den Beiträgen des vorliegenden Bandes mehrfach Widerhall gefunden hat. Wichtig dürfte auch die Feststellung sein, dass man im Hinblick auf die Spiritualität »überraschende Ähnlichkeiten« (74) wahrnahm — ein Umstand, der, wie mir scheint, für das Verhältnis zu den Freikirchen generell stärker in den Blick genommen werden müsste. In der ökumenischen Weite des Dialogs sieht O. die Chance, in einem »trilateralen Rezeptionsprozess mit methodistischer, katholischer und anglikanischer Beteiligung« (83) zu neuen Formen ökumenischer Verständigung vorzudringen.
Eine Innenperspektive des Dialoggeschehens bietet der methodistische Ko-Vorsitzende der Dialogkommission, Geoffrey Wainwright, der anhand der Leitmotive des »Austauschs von Gedanken« und des »Austauschs von Gaben« die beiden notwendig komplementären Ebenen des Geschehens hervorhebt. Seine eingehende Analyse des letzten Dialogpapiers von 2006 führt angesichts des sich darin aussprechenden Wunsches nach voller Kirchengemeinschaft zu einem mutigen Plädoyer für eine ökumenisch verantwortete Ausübung des Primats als »universale[m] Einheitsdienst [...]« (107).
Die beiden folgenden Beiträge beschäftigen sich mit dem Beitritt zur GER durch den Weltrat Methodistischer Kirchen im Jahr 2006. Aus methodistischer Perspektive zeichnet Manfred Marquardt den Weg zur Offiziellen Gemein¬samen Bestätigung nach und entwickelt aus der theologischen Darstellung die Verpflichtung, die Rechtfertigungsbotschaft auf neue Weise ins Zentrum der gemeinsamen christlichen Botschaft zu stellen.
Burkhard Neumann sieht aus katholischer Perspektive im Beitritt des Weltrats Methodistischer Kirchen zur GER wie auch in der methodistischen Theologie überhaupt ein großes »Potential an Verständigung wie auch an Herausforderung« (125) für den ökumenischen Dialog. Er spricht im Anschluss an Thomas Rigl von einer »Brückenfunktion« (126) der methodistischen Kirchen zwischen den lutherischen Kirchen und der Röm.-Kath. Kirche, da sich in ihnen theologische und frömmigkeitliche Traditionslinien beider vereinigten. Auf diese Weise könnten auch deutlicher die nichttheologischen Faktoren in den katholisch-lutherischen Beziehungen in den Blick genommen werden (so verweist Neumann auf die unterschiedliche Gewichtung des von Katholiken und Methodisten nicht geteilten Topos des simul iustus et peccator im jeweiligen Dialog mit den lutherischen Kirchen). Zugleich zeige sich, dass das Modell des differenzierten Konsenses sich im ökumenischen Diskurs duchgesetzt und an¬gesichts der GER seine Praktikabilität erwiesen habe. Im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre sieht N. in der pneumatologischen Füllung des methodistisch zentralen Themas der Heiligung einen Ansatz, die Diskussion um die menschliche »Mitwirkung« im Rechtfertigungsgeschehen in eine neue Richtung zu lenken. Auch er stellt sich angesichts des Befundes die Frage nach der Erweiterung bisher bilateraler Dialoge, um durch die Integration neuer Perspektiven zu einem ökumenischen Fortschritt zu kommen.
Sensibel und differenziert überführt schließlich Thomas Gerold die theologischen Überlegungen und Ergebnisse der Dialoge in praktische Anregungen für das Miteinander vor Ort, die sich sowohl den unterschiedlichen »Blockaden« oder Vorurteilen stellen, aber zugleich konkrete Chancen aufzeigen.
Der Band schließt mit der Publikation des letzten katholisch-methodistischen Dialogpapiers, dem »Seoul-Bericht« von 2006, der hier erstmals in deutscher Übersetzung erscheint.
Damit ist ein Doppelpunkt für das weitere ökumenische Gespräch gesetzt, zugleich aber auch — wie im Band mehrfach explizit formuliert — die Frage nach der Rezeption ökumenischer Dialogpapiere gestellt. Es ist ein Verdienst dieses Buches, bei aller Konzentration auf die theologischen Propria die unterschiedlichen Ebenen ökumenischer Verständigung in den Blick gerückt zu haben. Aus deutscher Warte mögen die im hiesigen Raum numerisch großen protestantischen Kirchen eher im Fokus ökumenischer Wahrnehmung liegen als die hierzulande kleinen. Dass eine solche Engführung den Potentialen und dem bereits erreichten Grad der ökumenischen Verständigung aber nicht entspricht, zeigt dieser multiperspektivisch angelegte Band auf anregende und überzeugende Weise.
Thomas Hahn-Bruckart