Rezension
News4you Dezember 2010
Kirche ist Mission
Dies ist sehr wichtiges Buch – und zwar unter vielen Aspekten: Es stellt einen weitgehend unbekannten Bereich der Kirchengeschichte dar: den freikirchlichen Anteil an der Frömmigkeitsgeschichte des 19. Jahrhunderts, die immer auch eine sozial-diakonische und ökumenische war, speziell bei den Methodisten. Es bietet Einblicke in die Stadtgeschichte der zweitgrößten Stadt Deutschlands, die sich im Vergleich zum übrigen Deutschland relativ tolerant und weltoffen verhielt und in der auf der der Säkularisierungsprozess besonders weit fortgeschritten war, dessen kirchliches Leben aber durch einen rigiden lutherischen Konservativismus bestimmt wurde. Den Methodisten ging es nicht darum, Gemeinden oder gar »Gemeinden nach dem Neuen Testament« zu gründen; sie wollten »Seelen retten« und damit der Säkularisierung der Gesellschaft und des Einzelnen Einhalt zu gebieten. D ss es trotzdem zur Bildung von eigenen Gemeinden kam, war – wie man lesen kann – unausweichlich.
Dem Verfasser geht es mit Nachdruck darum, dass das methodistische Kirchenverständnis am sachgemäßesten im Rahmen von Mission definiert wird. Hinter dem Beschluss, in Hamburg zu arbeiten, stand die Strategie eines kirchlichen Selbstverständnisses.
Es ging um die Missionierung der gottentfremdeten Menschen und den Ruf zur Umkehr, nicht etwa um »Gemeindewachstum«. Wesentlicher Aspekt der missionarischen Arbeit in Hamburg (und anderswo) war der diakonische Bereich: Erst als die Bethanien-Diakonissen aus der damaligen Bischöflichen Methodistenkirche und die Bethesda-Diakonissen aus der Evangelischen Gemeinschaft nach Hamburg kamen, entwickelte sich die anfangs sehr mühsame Arbeit. Diese Frauen arbeiteten zunächst nicht in Krankenhäusern und Anstalten, sondern kümmerten sich um Kranke und Arme in der Häusern, betreuten sie nach ihren Bedürfnissen und verbesserten so ihre Lebensqualität. Ihre Tätigkeit beschränkte sich nicht nur auf medizinische Versorgung. Dass Mission und Diakonie (ebenso wie persönlicher Glaube und Weltverantwortung sowie methodistisches Überzeugung und ökumenische Offenheit) zusammengehören und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, ist methodistisches Gemeingut von Anbeginn. Ein weiterer Gesichtspunkt der Darstellung ist die Wandlung, die sich in der Einstellung und in den Methoden der methodistischen »Prediger« und ihrer Mitarbeiter mit dem Beginn einer Großstadtarbeit vollzog. Die ersten, die nach Hamburg kamen, waren nämlich Rückwanderer aus den USA. Dort waren sie durchweg Bewohner von Kleinstädten, Dörfern oder einsamen Landsitzen gewesen.
Grundsätzlich standen die Methodisten den Arbeiterbewegungen und später den christlichen Sozialisten nahe, was bald zu Zerwürfnissen, ja zu offener Gegnerschaft auch der »Inneren Mission« führte. Die war nämlich im Sozialbereich und in den politischen Anschauungen durchaus konservativ-nationalistisch. Ein Literaturverzeichnis sowie ausführliche Personen-, Sach- und Ortsregister ergänzen dieses sehr instruktive und empfehlenswerte Buch.
Hartmut Handt