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Rezension

Eichsfelder Tageblatt, 09.12.2009

Brasiliens Katholiken und das afrikanische Erbe
Von Michael Caspar

Weihnachtsbaum und Christstollen zählen ebenso zum christlichen Brauchtum, wie Osterhase und Ostereier. Mit der Bibel haben diese Traditionen jedoch nichts gemein. Sie wurzeln im Heidentum. Christliche Kirchen haben sie aufgegriffen und im Lichte ihrer Religion neu gedeutet. Daran gab es immer wieder Kritik von strenggläubigen Gruppen insbesondere aus dem protestantischen Bereich. Mit einem ähnlichen Problem sind Katholiken in Brasilien konfrontiert. Wie sollen sie mit den religiösen Traditionen der Schwarzen umgehen? Mit 117 Millionen Gläubigen ist Brasilien das Land mit den meisten Katholiken weltweit. Doch mindestens zwölf Millionen von ihnen praktizieren trotz Taufe und Gottesdienstbesuch den Besessenheitskult Umbanda, schätzt die Religionswissenschaftlerin und Lehrerin Sibylle Pröschild in ihrem Buch „Das Heilige in der Umbanda. Geschichte, Merkmale und Anziehungskraft einer afro-brasilianischen Religion“.

Spiritualität

Entstanden ist Umbanda im Spiritisten-Milieu von Rio de Janeiro. Der Spiritismus, das Anrufen von Totengeistern, ist in Brasilien weit verbreitet. Es hat sich eine eigene Glaubensgemeinschaft gebildet, die sich auf den französischen Freidenker Allan Kardec (1804-1869) beruft. Dessen Schriften auf Deutsch gibt übrigens der Northeimer Spiritist Dagobert Göbel (Verlag Alkastar) heraus. Die neun Millionen brasilianischen Spiritisten gehören überwiegend der weißen Mittelschicht an. In ihren Kreisen kam Anfang des 20. Jahrhunderts Interesse an den religiösen Überlieferungen der Schwarzen auf, berichtet Pröschild. Zwischen 1538 und 1850 sind Millionen Afrikaner als Sklaven nach Brasilien verschleppt worden. Bei der Ankunft nahmen Priester die Zwangstaufe vor. Eine Unterweisung im Glauben unterblieb meist. Die Sklavenhalter wollten das nicht. So praktizierten die Afrikaner ihre traditionellen Religionen weiter. Heute dominieren die Lehren und Riten der Yoruba. Das westafrikanische Volk glaubt an einen allmächtigen Gott, der die Welt durch eine Vielzahl von untergeordneten Gottheiten, den sogenannten Orixa, verwalten lässt. Diese Orixa setzten die Sklaven mit den einzelnen Heiligen gleich. Bei ihren Gottesdiensten werden Tiere geopfert. Medien geraten durch Trommeln und Tanz in Trance. Die Orixa ergreifen von ihnen Besitz. Die weißen Brasilianer standen den afrikanischen Kulten lange Zeit ablehnend gegenüber. Sie galten als primitiv. Anhänger wurden der schwarzen Magie verdächtigt und verfolgt.

Respekt vor den Schwarzen

Mit Umbanda zollten weiße Spiritisten den Traditionen der schwarzen Landsleute Respekt. Sie übernahmen das Trommeln und die Tänze. Tieropfer kennen sie nicht. Neben den afrikanischen Gottheiten rufen sie auch die Geister der Indianer an. Die neue Religion, die sich in den 1920er-Jahren neben dem traditionellen Spiritismus entfaltete, traf den Zeitgeist. Aufstiegsorientierte Schwarze aus der Unterschicht fanden über Umbanda gesellschaftlichen Anschluss an die weiße Mittelschicht, führt Pröschild aus. Umbanda-Gemeinden boten Menschen, die ihre vertraute Umgebung auf dem Land verließen, um in den Städten Arbeit zu suchen, ein neues Zuhause. Die Tempel leisten Lebenshilfe bei Problemen in Beruf und Partnerschaft oder bei Gesundheitsbeschwerden. Die katholische Kirche in Brasilien tut sich da schwer, meint Pröschild. Pfarrer betreuen bis zu 12 000 Gläubige. Das Verhältnis der Kirche zu Umbanda war bis in die 1960er-Jahre gespannt. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, mit dem auch nichtchristliche Religionen Wertschätzung erfahren haben, halten sich die Priester mit Kritik zurück. Sie dulden manches. Fundamentalistische Protestanten greifen dagegen Umbanda frontal als „Dämonenkult“ an. Auch deshalb nennen sich Anhänger lieber Katholiken. Sibylle Pröschild: „Das Heilige in der Umbanda.“ Göttingen: Edition Ruprecht, 2009, 330 S. 41,90 Euro.

Rezensierter Titel:

Umschlagbild: Das Heilige in der Umbanda

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Das Heilige in der Umbanda

Geschichte, Merkmale und Anziehungskraft einer afro-brasilianischen Religion
Pröschild, Sibylle

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