Rezension
EmK Geschichte 28 (2007), Heft 2
RAEDEL, Christoph (Hg.): Methodismus und charismatische Bewegung. Historische, theologische und hymnologische Beiträge. Reutlinger Theologische Studien Band 2. Göttingen 2007
[broschiert, 260 S., € 23,90 (D), € 24,57 (A), SFr 41,00 (CH)]
Die neue Reutlinger Studie ist ein faszinierender Brückenschlag zwischen Methodismus (EmK) und Charismatischer Bewegung (CB). Ihr Ziel: Beide sollen zu mehr gegenseitiger Befruchtung und Korrektur finden. Das Buch ist gründlich und mit Augenmaß erarbeitet; es müsste Befürworter und Kritiker gleichermaßen ansprechen! Offensichtlich hat der Herausgeber die „richtigen“ Leute als Autoren gewonnen. Die Anordnung der Beiträge ist in sich schlüssig und ergibt ein vielschichtiges Bild.
1. Interessant ist im historischen Teil die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West. Reiner Dauner wurde als Beauftragter für Missionarischen Gemeindeaufbau der ZK (West) eingesetzt, und Bischof W. Klaiber spricht von „seinem“ Weg mit der CB. Es gab zwar auch Konflikte, doch viele fühlen sich von der CB angesprochen, zumal der Leidensdruck in der EmK über den Rückgang der Gliederzahlen und die gefühlte Bedeutungslosigkeit von Gemeinden zunehmend spürbar wird. – Anfang 1989 wurde in der BRD ein Arbeitskreis Geistliche Gemeindeerneuerung in der EmK (AGG) gegründet, der die notwendige Bestätigung vom Kirchenvorstand erhielt.
Die instruktiven Berichte aus der DDR - ZK von D. Weigel und Th. Röder zeigen, wie sehr auch dort versucht wurde, die CB einzubinden; doch man fühlte sich stärker zur Abgrenzung genötigt, auch vom gesellschaftlichen Umfeld her. Erst nach der politischen Wende wurde der Weg frei, in der EmK die Aktivitäten in Ost und West zusammen zu legen.
2. Sehr anregend ist auch der hymnologische Teil. Der Anglikaner James Steven arbeitet Gemeinsames und Unterschiedliches zwischen den beiden Singbewegungen des frühen Methodismus und der CB heraus. Deutlich wird, wie volkstümlicher Lobpreis schon im Methodismus das Evangelium in untere Volksschichten trug. Eines der Kennzeichen: Er spiegelt viel von der in den 70er Jahren populären Musik- und Tanzkultur wider“ (71; vgl. 105f). So sei das Singen in der Gemeinde der exklusiven Kontrolle von Pastoren, Chorleitern und Organisten entzogen und dem einfachen Glaubenden technisch und sprachlich zugänglich gemacht worden. J. Georg analysiert gründlich die liturgische Entwicklung der EmK. Sie habe sich nach 1968 stark an landeskirchliche Vorbilder angelehnt. Seit den 80er Jahren forderten Jugendliche in der EmK sog. Lobpreisgottesdienste. Neue liturgische Formen wurden erprobt, eine Alternative zum pastorenorientierten Gottesdienst gesucht. Georg legt (98ff) ein alternatives, von seiner Esslinger Gemeinde erarbeitetes Gottesdienstmodell vor, das sich von jenem aus Berlin berichteten (s. u.; vgl. 194ff) deutlich unterscheidet.
3. Im theologische Teil stellt R. Gebauer die Charismen in den weiten Zusammenhang der neutestamtlichen Lehre vom Heiligen Geist und der Soteriologie. Dadurch werden die Gnadengaben theologisch geerdet und inhaltlich entfaltet.
V. Schneeberger arbeitet lehrmäßige Analogien zwischen den methodistischen Anfängen und der CB heraus. Wesley betonte den Wert christlicher Erfahrung, auch wenn er gegenüber ekstatischen Phänomenen, die seine Predigten auslösten, distanziert blieb. Geistliche Gaben beurteilte er nach ihrer missionarischen Nützlichkeit. Der Herausgeber, Ch. Raedel, zieht an dieser Stelle Bilanz. Scharfsinnig entwickelt er, wie EmK und CB voneinander lernen können, ausgehend von der Gotteserfahrung, die in allem Widerstreit als gemeinsame christliche Grunderfahrung gelten kann. Sie ist es, die alle Gläubigen eint. Wesley hat sie soteriologisch begründet und missionarisch entfaltet. Dies führte aber dazu, dass sich alle Gaben auf die Wortverkündigung und damit auf den pastoralen Dienst konzentrierten. Die Nichtordinierten konnten sich charismatisch entlastet fühlen. Die Vielfalt geistlicher Gaben geriet aus dem Blickfeld. Die CB könnte uns helfen, unsere in der eigenen Tradition angelegten Intentionen konstruktiv zu erweitern und zu vertiefen. Denn die Stärke der CB ist es ja, die Vielzahl geistlicher Wirkungen im Gemeindeleben zu entfalten. Diese kommen aber stets von der einen christlichen Grunderfahrung im Glauben, Lieben und Hoffen her und weisen auf sie zurück, dürfen sich also nicht verselbständigen. Sie können auch den Wert eines Christen über die Rechtfertigung hinaus nicht steigern. Hier könnte der Methodismus der CB ein wenig zu ihrer eigenen Sache verhelfen!
4. Praxisberichte runden den Band ab. Der bewegende Erfahrungsbericht aus Berlin-Lankwitz (von F. Drutkowski) spricht für sich. Auffallend ist die Entdeckung der geistlichen Leitung, die nicht beim Pastor liegen muss und daher in der EmK leicht zu Konflikten führen kann. Das Modell wird nicht überall Zustimmung finden. Aber es könnte Impulse freisetzen!
Die Verbindung von Gemeinde und sozialtherapeutischer Arbeit wurde in Zittau praktiziert (F. und M. Ufer), wobei Rückschläge und Ängste nicht verschwiegen werden. Die Suchtkrankeneinrichtung „come back“ resultierte aus vielem Suchen und Fragen, wobei das Gebet neue Dringlichkeit bekam. Mission und Diakonie bilden dabei eine spannungsvolle, doch fruchtbare Einheit.
5. Leitlinien zum Thema aus der United Methodist Church beschließen den Band, zugleich ein ergänzender historischer Beitrag! Bereits 1976 wurden sie von der Generalkonferenz beschlossen. (Den S. 230, A1 genannten Fundort der gültigen Fassung konnte ich aber leider nicht auffinden!). Dankenswert sind auch die Register. Das Buch ist sorgfältig redigiert und verdient weite Verbreitung und Nutzung!
Dieter Sackmann